Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
praktisches Arrangement.« Eine junge Hostess war aus dem Hotel getreten und lächelte ihn an, wobei sich verführerische Grübchen auf ihren Wangen bildeten. »Und sehr sauber. Wir wechseln die Bettwäsche nach jedem Gast. Wenn Sie keine Begleitung haben, können wir gern jemanden vermitteln.«
»Nein, danke, nicht nötig.« Yu zog sich hastig zurück.
In einem solchen Hotel würden Fu und seine Freundin sich wohl kaum mit richtigem Namen anmelden. Es wäre also müßig, an der Rezeption nachzufragen. Außerdem wollte er keinen unnötigen Wirbel machen. Einige Etablissements der Stadt hatten gute Verbindungen zur Polizei, und dieses gehörte vermutlich dazu. Die Gäste konnten sich hier sicher fühlen.
Aber warum ging Fu dorthin, wenn das Mädchen, mit dem er sich getroffen hatte, seine Freundin war? Oder war sie etwa eine von denen, die das Hotel vermittelte? War er aus diesem Grund nach Shanghai gekommen?
»Weißt du jetzt, was für eine Sorte Hotel das ist?«, fragte Peiqin.
»Ich denke schon. Setzen wir uns doch eine Weile irgendwohin.«
Durch Fus sonderbares, ja verdächtiges Verhalten war Yus Interesse geweckt worden. Jetzt wollte er warten, bis die beiden wieder herauskamen. Peiqin nickte zustimmend.
Auf der anderen Seite der Straße, die sich hier zu einem kleinen Platz weitete, war eine riesige LED-Leinwand aufgebaut. Dort stand auch das »Seventh Heaven«, vor 1949 ein berüchtigtes Tanzlokal. Im Laufe von Yus Kindheit war es dann zur Shanghai-Apotheke Nr. 1 geworden, mittlerweile jedoch hatte ein neuer Besitzer es wieder in ein Hotel mit Nachtclub verwandelt. Der Ruf des Etablissements hatte sich mittlerweile gebessert, dafür war es längst nicht mehr so mondän wie in seinen besten Zeiten. Das einst so markante siebenstöckige Gebäude wirkte geradezu winzig zwischen all den neuen Wolkenkratzern, die es jetzt umgaben.
Am Rand des Platzes entdeckten sie eines dieser neumodischen Teehäuser und wählten einen Tisch im Freien. Niemand würde ein Ehepaar mittleren Alters beachten, das sich dort bei einer Tasse Tee ausruhte.
Yu bestellte sich Löwenberg-Tee, Peiqin eine Schale mit Mandelpudding.
»Ohne den Auftrag deines Chefs hätte ich jetzt nicht das Vergnügen, hier mit dir zu sitzen«, bemerkte Peiqin mit gespielter Entrüstung.
»Sobald Chen zurück ist, werde ich auch Urlaub nehmen – eine ganze Woche. Dann kommen wir wieder her, Peiqin. Jeden Tag, wenn du möchtest.«
»Ich beklage mich ja gar nicht. Du brauchst deinen Chef nicht um seine Ferien zu beneiden. Er mag zwar in einem exklusiven Kader-Erholungsheim residieren, aber hat er auch jemanden an seiner Seite, der mit ihm den herrlichen Seeblick genießt?«
»Bei ihm weiß man nie«, erwiderte Yu. »Was er uns da aufgetragen hat, scheint mit diesem Mädchen zu tun zu haben, das seinerseits mit einem der Tatverdächtigen in Verbindung steht – in einem Mordfall.«
»Da magst du recht haben«, sagte Peiqin und seufzte leise.
»Gefällt dir die Gegend hier?«, fragte Yu, der nicht weiter über seinen Chef sprechen wollte.
»Ja, aber das kann daran liegen, dass sie für mich voller Kindheitserinnerungen steckt. Als kleines Mädchen bin ich gelegentlich am ›Seventh Heaven‹ vorbeigekommen, damals erschien es mir so groß und unerreichbar.«
Yu nahm einen Schluck Tee und ließ den Blick über die bekannte Einkaufsstraße schweifen, wo ihm die Veränderungen nicht ganz so drastisch erschienen wie in der übrigen Stadt. Viele der alten Spezialgeschäfte existierten noch und waren, hübsch renoviert, zu neuem Leben erwacht.
Auf dem Platz begann eine Gruppe zu der Musik aus einem mitgebrachten Kassettenrecorder zu tanzen. Ein kahlköpfiger Mann mittleren Alters in schlabberiger weißer Seidenhose und einem nassgeschwitzten T-Shirt, auf dem das Zeichen für Tanz prangte, war offensichtlich ihr Vortänzer. Er vollführte die Bewegungen mit solcher Intensität und solchem Ernst, als übermittelten sie eine universelle Bedeutung. Seine grüne Seidenschärpe flatterte im Wind. Andere übten Tai Chi – unweit der Kreuzung Nanjing und Zhejiang Lu. Die einzelnen Figuren gingen fließend ineinander über wie ziehende Wolken, wie strömendes Wasser … Plötzlich wurde Yus Aufmerksamkeit von etwas anderem gefesselt.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sprachen zwei Mädchen, höchstens siebzehn oder achtzehn Jahre alt, einen stämmigen Westler an und deuteten dabei auf das Schild des Hotels. Das Haus war eindeutig ein Stundenhotel.
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