Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
kam in einem Regenschauer, warm und kühlend. Ihr langes Haar war über sein Gesicht herabgestürzt wie ein Wildbach und hatte ungeahnte Empfindungen in ihm freigesetzt. Dann wieder war sie unter ihm, brandend wie der See, zog sie ihn bebend mit in die Tiefe der Nacht, bevor sie ihn, die Beine um ihn geschlungen, in den ausrollenden Wellen eines langen Orgasmus an die Oberfläche zurückbrachte.
Danach hatten sie sich schweigend in den Armen gelegen, in lustvoller Korrespondenz zum Wasser, das gegen das Seeufer schwappte in der Stille der Nacht.
»Wir haben den See ganz für uns.«
»Ja, wir sind der See«, flüsterte sie kehlig, bevor sie in seinen Armen einschlief.
Ein Nachtvogel rief, gespenstisch fern und doch nah. Hoffentlich war es keine Eule, dachte er, ein Unglückszeichen zu dieser ungewöhnlichen Stunde. Eine unerklärliche böse Vorahnung holte ihn in die Gegenwart zurück.
Wieder wandte er sich dem hingekuschelten Körper neben ihm zu, ihren klaren Gesichtszügen, die im hellen Mondlicht erstrahlten. Eine Welle der Dankbarkeit überkam ihn.
Es überforderte ihn, jetzt über andere Dinge nachzudenken, doch er zwang sich dazu. Zumindest musste er einen Plan zu ihrem Schutz entwickeln – und dann einen Plan für die Zukunft.
Aber wie schon ein Weiser des Altertums wusste, die Dinge liefen in dieser Welt in neun von zehn Fällen eben nicht nach Plan.
Der Polizeiberuf war das Letzte gewesen, was er sich während des Studiums für die Zukunft vorgestellt hatte, und doch war er Polizist geworden. Dann hatte er versucht, ein guter Polizist zu sein. Scheiterte er nun auch darin?
Er war nicht bereit, sich das einzugestehen. Noch nicht. Man musste alles im rechten Kontext sehen – das hatte er gelernt, sowohl als Literaturwissenschaftler wie als Polizist.
Unter guter Polizeiarbeit verstand er den gewissenhaften Abschluss eines Falls; diesmal kam noch die Verpflichtung hinzu, für Shanshans Schutz zu sorgen.
Würde er das schaffen? In diesem Mordfall lief letztlich alles auf Politik hinaus, und die war unberechenbar wie die bunten Bälle in der Hand eines Zauberers – leider hatte er da keine Hand im Spiel.
Also musste er sich auf die Rolle des Polizisten beschränken, und auch als solchem waren ihm diesmal die Hände gebunden. Die Aktionen der Inneren Sicherheit mochten politisch motiviert sein, aber immerhin konnten sie Zeugenaussagen und Beweise vorlegen. Er dagegen hatte keine Trumpfkarte. Zudem war er erstmals in seiner Polizeilaufbahn in einen Interessenkonflikt geraten.
Doch dann fiel ihm wieder ein, was sie zu Beginn des Abends über eine entscheidende Zeugenaussage dieses Falls erwähnt hatte.
In diesem Moment bewegte sie sich im Schlaf und streckte eines ihrer wohlgeformten Beine unter der Decke hervor. Er konnte nicht anders, als die Linie ihres nackten Rückens mit dem Finger nachzuzeichnen, die Haut wie eine Welle unter der sanften Berührung; … beginnen, fliehn und wiederum beginnen: / Im langen Rhythmus, breit und bebend.
Wieder war er zu abgelenkt, um weiter an den Fall zu denken.
Also stand er auf, holte den Laptop aus dem Wohnzimmer und machte es sich mit ein paar Kissen im Bett bequem. Den Rechner auf den angezogenen Knien, betrachtete er ihr mondblasses Gesicht.
Er rührte sich nicht, saß nur schweigend und in Gedanken versunken da, während die Zeit im Dunkel verrann.
Regen hatte eingesetzt, er lauschte dem Prasseln gegen die Scheiben und stellte sich den See als einen wehenden Gürtel vor.
Plötzlich streckte sie im Schlaf den Arm nach ihm aus, und ihre Hand fiel auf die Tastatur, während sie nach seinem Bein tastete, als wollte sie sich seiner Gegenwart versichern. Ihre unabsichtliche Berührung erweckte den Bildschirm zum Leben und zauberte ihm die eigenen, unfertigen Zeilen vor Augen.
Dieser Aufforderung folgend, arbeitete er weiter an der Bilderflut, die ihn geradezu überschwemmte und die er als Waffe im Kampf für die Rettung des Sees nutzen wollte.
Bald wird der Frühling wieder scheiden.
Warum ist die Tür stets überzogen
vom Staub des Zweifels?
Der See weint und starrt die
stumme, großartige Sonne an.
Wer ist es, der an deiner Seite geht?
Der Mond erwacht aus einem Albtraum,
bleich wie in Ammoniak getaucht,
versinkt er in Grübelei.
Im ätzenden Spiegelbild des Sees
blinzeln tränenreich die Sterne
und zittern vor Kälte.
Die Zeilen waren ungeordnet, doch er zwang sich, sie in einem Zug niederzuschreiben. Er tippte, setzte eine
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