Toete John Bender
Mit Doris?«
»Ja«, bestätigte Jens. »Sie hatte eine Art Angstanfall und wollte, dass wir uns beim Bäumefällen zurückhalten und vorsichtig sind. Ihr Mann hat seine Hand bei Holzarbeiten verloren und sie hat ihn dann wohl gefunden. Ihn und die Hand. Krass!«
»Mir hat sie etwas von Vorahnungen erzählt, die sie heimsuchen. Deshalb will sie auch abbrechen.«
»Echt? Heftig! Und nun?«
Tom inhalierte tief. »Du wirst Andi sagen, dass er noch mal her kommen soll, wenn du ihn in der Bucht triffst. Dann sprichst du über CB-Funk mit Lydia und sagst ihr, dass Doris zurück an Bord kommt.«
»Ich glaub’, mit dem Funkgerät kenne ich mich nicht so gut aus«, wandte Jens ein.
»Andi aber! Frag ihn einfach, wie das geht. Ach ja, der Schlüssel. Hier!« Tom zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, löste einen der vielen Schlüssel und reichte ihn Jens. Der Schlüssel gehörte zu einem Schloss, welches einen kleinen Schuppen bei der zweiten Anlegestelle sicherte. Dorthin wollte Andi mit dem Boot von der ›Paloma‹ aus noch einige Überraschungen, alkoholische Getränke, Süßigkeiten, Knabbereien und so weiter auf die Insel schaffen. Jens sollte sie dann unauffällig ins Lager bringen. In diesem Schuppen, der ihnen gehörte, stand als reine Vorsichtsmaßnahme ein CB-Funkgerät, um notfalls Kontakt mit dem Festland oder der ›Paloma‹ aufnehmen zu können.
»In Ordnung, wenn Andi das kann. Soll er Doris denn sofort von hier abholen?«, vergewisserte sich Jens, alles verstanden zu haben.
»Ja, ist besser. Dann können wir sie noch verabschieden.«
Tom rauchte, Jens blickte auf das Meer.
»Sag mal, hast du Silvia bei dir in der Gruppe gehabt, um sie angraben zu können?«
Jens grinste.
Tom blickte ihn ernst an, drückte die Zigarette in seinem Handaschenbecher aus, schüttelte verächtlich den Kopf und ging zurück zu den anderen. Jens fragte sich, ob er einen wunden Punkt bei seinem Vorgesetzten getroffen oder ob er etwas falsch gemacht hatte. Er stieß sich vom Boot ab und machte sich auf den Weg zur kleinen versteckten Bucht, der zweiten Anlegestelle, um Andi zu treffen.
***
F rederik wollte lesen und ging ins Zelt. Er bückte sich, hielt die Zelttür auf, trat ein und erstarrte. Sein eingerichteter Schlafplatz, die Isomatte, sein Schlafsack, das Kopfkissen, sein Rucksack am Fußende, alles war verschoben worden, und an der Stelle, die er sich ausgesucht hatte, lag nun Wolfgang auf seinem Schlafsack und hielt ein Nickerchen. Frederik schnaufte, schüttelte den Kopf und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Wolfgang wecken? Ihn schlafen lassen und später zur Rede stellen? Sich einfach mit dem neuen Schlafplatz zufriedengeben?
»Ficker!«, zischte er, wunderte sich über sich selbst und kroch rückwärts wieder aus dem Zelt heraus. Bisher hatte er sich immer für jemanden gehalten, der sich in Gruppen gelegentlich von der gesellschaftlichen Norm abweichend verhält – typisch für jemanden aus der IT-Branche eben. Aber Wolfgang übertraf ihn in dieser Hinsicht. Trotz der ähnlichen Wesenszüge, sich unbeliebt zu machen, wurde ihm Wolfgang dadurch nicht sympathischer. Frederik gesellte sich zu Silvia und Sascha, die sich auf ihren Handtüchern sonnten.
***
T om näherte sich dem Lager. Jedes Coaching war eine Herausforderung. Ein anderer Partner, immer unterschiedliche Teilnehmer, andere Aufgabenstellungen. Aber zweifellos waren Coachings im Outdoor-Bereich am anspruchsvollsten, weil sie noch unberechenbarer waren. Ein defekter Beamer war eben nicht zu vergleichen mit einem sonderbaren Knochenfund. Da lagen die Nerven schnell blank und jemand labiles wie Doris kollabierte und geriet schnell in die Panikzone. Tom hatte sie stärker, tougher eingeschätzt.
Kurz vor dem Lager blieb er stehen und vergewisserte sich, dass er richtig sah: Silvia sonnte sich im Bikini. Er schluckte trocken und fragte sich, ob die berufliche Enthaltsamkeit dazu führte, sie umwerfend zu finden, oder ob Silvia tatsächlich umwerfend aussah. Instinktiv zog er den Bauch ein, spannte seine Muskeln an und ging zu ihr. Frederik und Sascha saßen auch dort, Doris konnte er im Schatten unter der Jurte erkennen.
»Na, Pause?« Er ging neben Silvia in die Hocke und versuchte flüchtig, so viele intime Anblicke wie möglich von ihr zu erheischen. Ein Piercing im Bauchnabel, gepflegte Beine und Füße, feste Brüste.
»Du hast gesagt, wir sollen eine Pause machen. Ich hätte ja schon längst Feuerholz gesammelt«,
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