Toete John Bender
dicht stehenden Gehölz davor fast vollständig verschluckt. Und doch erkannte Tom überall den einen Namen. Er ließ seinen Blick schweifen und erschrak. ›TOD‹ stand in mannshohen Buchstaben an der letzten Wand. Verdammt, was hatte das alles zu bedeuten? Tom gestand sich seine aufkeimende Angst ein.
TOD. Jemand hatte es auf Deutsch geschrieben. Nicht auf Dänisch oder Englisch. Auf Deutsch! Tom hielt nichts mehr in dem Bunker. Er hastete die Treppe hinunter, aus dem Bunker und aus dem Wald. Erst als er wieder über freie Sicht verfügte, beruhigte er sich.
John? TOD? Wurden sie in ein Beziehungsdrama hereingezogen? In die morbide Liebes- oder Sexaffäre eines Paares, eines deutschen Paares, das hier auf der Insel sonst was getrieben hatte? Gab es für Tom bisher noch einen Bezug zu seiner Firma oder seiner Person, so war dieser Gedanke verflogen. ›John‹ und ›TOD‹ sah er nicht in einer Verbindung zu sich. Noch nicht.
***
T om kam zurück ins Lager. Immer noch war es ruhig. Silvia bürstete vor dem Zelt ihr Haar und Jens räumte die Hinterlassenschaften des gestrigen Abends auf. Sie begrüßten ihn leise und winkten ihm zu. Toms Interesse an Silvia war derzeit erloschen, zu sehr beschäftigten ihn der Fremde und der Bunker.
»Lass uns gleich mal den Tag besprechen, in Ordnung?«, flüsterte er Jens zu.
Jens nickte. »Hier«, sagte er und gab ihm sein silbernes Zigarettenetui.
Tom verstand nicht.
»Was soll das?«
»Hab’ ich beim Lagerfeuer im Sand gefunden«, antwortete Jens und verwunderte ihn. Denn der konnte sich nicht daran erinnern, am Lagerfeuer geraucht zu haben. Allerdings konnte er sich auch nicht daran erinnern, am Feuer eingeschlafen zu sein.
»Echt?« Tom nahm es entgegen und öffnete es. Zwei Zigaretten klemmten noch hinter dem Gummizug. Er steckte das Etui ein.
»Wollen wir?« Er meinte es eher als Aufforderung denn als Frage.
Jens nickte, rieb sich den Sand von den Händen und sie gingen zum Strand.
»Waren die anderen schon wach?«, wollte Tom auf dem Weg wissen.
»Frederik war kurz auf, ist aber wieder ins Zelt gegangen.«
»Mir ist eben echt was Seltsames passiert. Ich glaube, ich habe den Verrückten getroffen, der hier auf der Insel sein Unwesen treibt«, vertraute Tom ihm an.
Jens blieb abrupt stehen, sah zu Tom.
»Ehrlich? Der ist immer noch hier?«
»Ja, erzähl ich dir beim Boot«, antwortete Tom und erklomm die letzte Düne vor dem Strand. Dort angekommen zündete er sich eine Zigarette an, stieß den Rauch aus, der durch eine leichte Brise auseinander fächerte, und massierte sich das Kinn.
»Ich fühl mich wie ausgekotzt«, stellte er fest und reckte sich.
Jens nickte zustimmend. »Ja, ich auch. Kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie ich ins Zelt gekommen bin. Dabei habe ich überhaupt nicht so viel von dem Rum getrunken. Hast du eigentlich versucht, mich zu wecken?«
Tom presste Luft durch die Lippen und schüttelte den Kopf. »Ich habe am Feuer geschlafen. Aber nächste Nacht müssen wir unbedingt Wache halten.«
»Du hast gesagt, du hast den Verrückten gesehen?«, hakte Jens nach.
Tom nickte und erzählte von seiner Begegnung auf dem Hügel, der Verfolgung und der Entdeckung des Bunkers.
»Ich kann mir keinen Reim auf das Ganze machen«, beendete er seine Ausführung und zeigte sich ratlos. Er sah den Bewegungen der Wellen nach.
»John … Tod …«, sinnierte Jens und zuckte mit den Schultern. Ihm wäre auch wohler gewesen, wenn sie kommende Nacht eine Wache aufstellen würden.
»Tja, Wache halten«, steuerte Tom nachdenklich bei und Jens brummte seine Zustimmung.
»So, lass uns zum Tag kommen«, schüttelte Tom die bedrückte Stimmung ab und stieß sich vom Boot ab. Er sah auf seine Uhr – halb Acht.
»Um Acht frühstücken wir und beginnen um halb Zehn. Ich werde nach dem Frühstück noch schwimmen gehen, vielleicht kommen die anderen auch mit.« Tom übersah den Anflug eines süffisanten Grinsens, das sich um Jens’ Mundwinkel kräuselte. »Um halb Zehn starten wir mit einem Warming-Up. Was hältst du von der Palmenmassage?«
»Ja, finde ich gut«
»Okay, dann die Morgenrunde und um Zehn fangen wir mit den Fragebögen an, bis Zwölf. Dann gibt es Mittag. Da müssen wir sehen, dass wir die Reste zusammenkratzen und daraus noch eine Mahlzeit zaubern. Und um halb Eins treffe ich mich mit den Schatzgeistern am Bootshaus.«
Tom überlegte. »Hoffentlich«, ergänzte er.
Dann würden sie endlich erfahren, warum Andi nicht erschienen
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