Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Krapfen mit Puderzucker.«
»Ja, ich weiß, ich sollte abnehmen«, sagte Forsberg und trat zur Seite, wobei weißer Staub durch die Luft flirrte. »Das Haus istalso, es steht noch, aber sie lassen niemanden mehr rein. Kann ich ein paar Tage?«
»Klar. Warum hast du mich nicht angerufen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Forsberg. »Es tat gut, hier zu sitzen und nachzudenken. Die Mutter von unserer kleinen Freundin Wilma hat mich reingelassen, aber sie hat mich ganz komisch angesehen, als ich sagte, ich wolle zu dir.«
Selma öffnete die Tür und riet Forsberg, mal in den Spiegel zu schauen, dann würde er das vielleicht verstehen.
An einem Winterabend stand plötzlich ihr Stiefbruder mit zwei Koffern vor der Tür. Camilla schien nicht allzu überrascht zu sein, offenbar wusste sie von seiner Ankunft, hatte es aber nicht für nötig gehalten, Lillemor etwas davon zu sagen. Sein Vater war gestorben.
Lillemor hatte ihren Stiefbruder nicht sehr vermisst und auch nur selten an ihn gedacht. Dennoch freute sie sich, ihn zu sehen, und fand es ungewohnt großzügig von ihrer Mutter, ihn aufzunehmen. Dass sie ab jetzt kein eigenes Zimmer mehr hatte und bei ihrer Mutter schlafen musste, gefiel ihr allerdings weniger. Ihre Schreibmaschine stand nun unter ihrem Bett, und wenn sie schreiben wollte, musste sie sich an den Küchentisch setzen, wo sie viel öfter gestört wurde.
Erst viel später erfuhr Lillemor Einzelheiten: Camillas Exmann Ingvar war nach einer Messe in einem abgelegenen Ort von der Straße abgekommen, in einen See gefahren und darin ertrunken. Angeblich war er stark alkoholisiert gewesen, man munkelte auch etwas von Selbstmord, aber das konnte nicht bewiesen werden. Da sein Sohn minderjährig war und die Mutter unauffindbar, wurde Ingvars Mutter zum Vormund ihres Enkels und erhielt dafür Geld von der Jugendfürsorge. Die Frau kam aber mit dem aufsässigen, pubertierenden Jungen nicht klar, und da er ständig nach Camilla fragte und schließlich einfach nach Göteborg durchbrannte, arrangierten sich die beiden Frauen sozusagen unter der Hand: Ingvars Mutter überließ Camilla den Jungen und das Geld von der Fürsorge, das Camilla gut gebrauchen konnte.
Ihr Bruder war gewitzt und raffiniert und laut Camilla »ein ziemlicher Taugenichts«. Irgendwann ertappte ihn Lillemor, wie er auf Camillas Bett saß und in ihren getippten Manuskripten las. Wütend entriss sie ihm die Blätter und warf ihn hinaus. Lillemor wusste, dass ihr Bruder durchs Schlüsselloch schaute, wenn sie oder Camilla im Bad waren oder sich im Schlafzimmer auszogen. Bestimmt war das bei dreizehnjährigen Jungs normal, und seltsamerweise war es ihr auch egal. Im Gegenteil, zuweilen verursachte ihr das Wissen darum ein seltsames Prickeln auf der Haut. Er konnte ihretwegen ihren Körper ansehen, aber ihre Geschichten zu lesen, das war wie ein Blick in ihr Innerstes, und das ging niemanden etwas an.
Von ihrem kindlichen Berufswunsch Bibliothekarin war Lillemor nun, mit sechzehn, abgekommen. Jetzt war es ihr heimlicher Traum, Schriftstellerin zu werden. Über den Weg dorthin hatte sie sich allerdings noch keine Gedanken gemacht. Es war eben ein Traum, etwas Diffuses, das vielleicht, eines fernen Tages, schicksalhaft über sie kommen würde, einfach so. Die Autoren, deren Bücher sie las und die sie aus dem Fernsehen und aus der Zeitung kannte, waren erwachsene Menschen, die meisten sogar schon ziemlich alt, und Lillemor bezweifelte, ob sie als Erwachsene jemals so klug sein würde wie diese Leute. Sie packte die Blätter in den großen Koffer, der auf dem Schrank lag und den man abschließen konnte. Den Schlüssel trug sie ab sofort immer bei sich.
Doch ein paar Wochen später kam sie von der Schule nach Hause und der Koffer war gewaltsam geöffnet worden und alle ihre Manuskripte waren verschwunden.
Tinka hockte mit angezogenen Knien auf der Gartenbank. Durch das Geäst der Bäume und Sträucher, die das kleine Haus umgaben wie ein schützender Wall, betrachtete sie die Mondsichel, die auf den Askimsviken herablächelte.
Die Begegnung mit Leanders Exgeliebter hatte die alte Wunde wieder aufgerissen, und es fiel Tinka schwer, in Gegenwart dieser Frau einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber das musste sie, unbedingt.
Ausgerechnet Eva Röög! Das hatte ihr Plan nicht vorgesehen.
Als Leander gestern mit der Pistole aus der Wohnung gestürmt war, sein Telefon jedoch dagelassen hatte, hatte Tinka dem Erpresser eine SMS mit ihrer Handynummer geschickt,
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