Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
es mit einem Profi zu tun hatte. Elin Nielsen war vierundachtzig und insgesamt geistig durchaus noch auf der Höhe. »Die Tassen im Schrank werden nur langsam weniger«, pflegte sie zu sagen. Sie las die Tageszeitungen von vorn bis hinten und wusste über den aktuellen Göteborg-Klatsch viel besser Bescheid als Selma. Seit Selma bei der Kriminalpolizei war, verfolgte Elin die Polizeiberichte mit besonderer Aufmerksamkeit.
»Habt ihr diese russische Bande, die die Rassehunde klaut, denn endlich dingfest machen können?«, hatte sie beim letzten Mal gefragt und fragte es heute wieder. Offenbar lagen ihr die Tiere sehr am Herzen. Selma musste Elin daran erinnern, dass sie seit einem Monat in der Vermisstenstelle arbeitete.
»Aber die Hunde werden doch vermisst«, beharrte Elin, und alle ihre Runzeln änderten die Form, als sie verschmitzt lächelte. Selma lächelte ebenfalls, denn sie hatte den leisen Verdacht, dass die alte Dame sie ein bisschen auf die Schippe nahm.
Der Wintergarten und der daran angrenzende Speisesaal waren gut besucht. Das Personal fuhr mit kleinen Teewägelchen herum und servierte Kaffee und Kuchen für Heimbewohner und Besucher. Zwei kleine Jungen tobten zwischen abgestellten Rollatoren herum und wurden ermahnt. Selma hatte Elin gefragt, ob sie es lieber hätte, an einem anderen Tag besucht zu werden, wochentags, wenn es ruhiger wäre. Aber Elin hatte gemeint, der Sonntag wäre ihr schon recht und da gäbe es auch die besten Kuchen. Das stimmte. Die Kuchen waren ausgezeichnet, Selma aß immer mindestens zwei Stücke und manchmal steckte sie noch eins ein, für den nächsten Tag. Womöglich war es auch ein Stigma, wenn man am Sonntag allein am Kaffeetisch saß, so wie die Frau mit dem fliederfarbenen Haar am Nebentisch, die mit verkniffenen Lippen nach draußen blickte und ab und zu an ihrem Teeglas nippte.
Selma beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Elin, wie heißt noch mal die Dame neben uns, du hast sie mir neulich vorgestellt.«
»Das ist Pernilla Nordin«, sagte Elin. Sie hatte ein bisschen zu laut gesprochen, der Kopf von Frau Nordin, der auf einem Schildkrötenhals saß, wandte sich in ihre Richtung.
Nordin. Selma sah den Namen vor sich in der Akte Lucie Hansson stehen. Holger Nordin, Großvater von Lucie Hansson. Der Name Nordin kam in Göteborg nicht allzu häufig vor. War sie eine Verwandte?
Selma entschuldigte sich bei Elin. Sie müsse kurz etwas klären, was mit einem Fall zu tun habe. Elin schaute verdutzt, während Selma zum Nebentisch ging und fragte, ob sie sich setzen dürfe. Die Frau wies mit verwundertem Gesichtsausdruck auf die drei freien Stühle und nickte. Selma stellte sich als Inspektorin der Kripo Göteborg vor und fragte die alte Dame rundheraus, ob sie mit Holger Nordin verwandt wäre.
Die Frau blickte sie missmutig an. Selma versuchte, die Farbe ihrer Augen zu bestimmen, aber es gelang ihr nicht. Auch Elin am Nebentisch schaute unzufrieden drein. Es gefiel ihr wohl nicht, dass ihr Besuch fremdging.
»Er war mein Mann«, sagte Pernilla Nordin widerstrebend.
»Wann war das?«, fragte Selma.
»Ach, Gott, das ist ewig her. Wir wurden 75 geschieden.« Sie presste die Lippen zusammen und rührte in ihrem Tee. Knotige Adern liefen über ihren Handrücken, der voller brauner Flecken war. Der knallrote Lack auf ihren Fingernägeln wirkte grotesk dazu.
»Ich war eine gute Partie für ihn.« Ihre Stimme erinnerte an eine eingerostete Schiffsschraube. »Aber er konnte ja die Finger nicht von diesen kleinen Flittchen lassen. Eins davon hat ihm dann prompt einen Balg angedreht. Die ganze Firma tuschelte darüber. Er dachte wohl, ich merke das nicht. Sie hat ihn sogar zum Vaterschaftstest zitiert, ich habe den Brief gesehen. Da hat es mir endgültig gereicht, da habe ich mich scheiden lassen.« Sie beugte sich in Selmas Richtung und sagte mit bösem Blick: »Aber nun hat er ja seine Strafe.«
Seine Strafe, dachte Selma. Was meint sie? Doch nicht etwa sein verschwundenes Enkelkind?
»Selma, was ist denn nun?«, kam es vorwurfsvoll vom Nebentisch.
»Ich komme schon«, sagte Selma und verabschiedete sich von Frau Nordin. Die nickte nur erneut. Dann betrachtete sie weiter die Rosen und Rhododendren hinter der Glasscheibe.
Zum Jahresende kündigte Camilla das möblierte Zimmer in Haga, einem heruntergekommenen Arbeiterviertel, und zog in ein Apartment im Rosenlund-Viertel. Zwei Zimmer mit Zentralheizung und Einbauküche. Es kam Camilla wahnsinnig mondän vor. Dort
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