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Töwerland brennt

Töwerland brennt

Titel: Töwerland brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zweyer
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Ohrensessel. Danach fühlte sie sich besser.
    Auf dem Sekretär vor dem Fenster lag ein Aktenordner, daneben die
Erpresserbriefe.
    Heike stutzte. Sie hatte die Schreiben, nachdem sie mit dem Anwalt
bei ihrer Mutter gewesen war, zurück in den Tresor gelegt. Warum hatte ihre
Mutter sie wieder hervorgeholt?
    Heike Harms schlug den Ordner, den sie noch nie zuvor gesehen hatte,
auf. Als erste Seite war ein Inhaltsverzeichnis eingeheftet. Ganz oben stand Versicherungen , darunter Bank ,
dann Familienbuch , Privates .
    Sie blätterte zur dritten Lasche. Das in rotes Leinen gebundene
Familienbuch lag geschützt in einer Kunststofftasche. Sie zog es heraus, schlug
es auf. Die Lebens- beziehungsweise Sterbedaten ihrer Großeltern, die ihrer
Eltern, ihres Bruders und ihre eigenen. Seltsam, was vom Leben eines Menschen
bleibt, dachte sie. Ein rotes Buch. Einige Bilder. Grabsteine. Möglicherweise
Besitz, Schmuck oder Häuser. Manchmal schöne Erinnerungen. Aber im Laufe der
Jahre verblassen auch die. Die Häuser werden zu Ruinen, der Schmuck wird
verkauft, die Grabsteine verwittern, das Familienbuch zerfällt. Nur die
Lebensdaten bleiben. Bis auch sie niemand mehr speichert, überträgt,
archiviert. Dann ist der Mensch wirklich im Mahlstrom der Geschichte untergegangen.
    Sie legte das Familienbuch vorsichtig beiseite und blätterte weiter.
    Unter Privates fand sich ein
verschlossener, brauner Briefumschlag. Heike Harms nahm ihn zur Hand, zögerte
dann doch. Es kam ihr wie ein Bruch der Privatsphäre ihrer Mutter vor, das
dicke Kuvert zu öffnen. Privatsphäre, was für ein Quatsch, dachte sie schließlich. Hatte ihre Mutter sie
jemals in ihre Entscheidungen einbezogen? Nein, sie hatte sich mit ihrem Vater,
später mit Gerrit besprochen und ihr lediglich die so getroffenen Entschlüsse
mitgeteilt. Und selbst die wirtschaftlichen Ergebnisse des Familienhotels hatte
sie nur deshalb erfahren, weil sie ohne deren Kenntnis ja schlecht die
Buchhaltung übernehmen konnte. Nein, ihre Mutter war tot. Da hatte man keine
Privatsphäre mehr.
    Mit einem Ruck riss sie den Umschlag auf.

27
    Sommer 2004
    Knut
    Der Dreißigjährige war wieder nach Dortmund gezogen. Mit Unterstützung
seines Bewährungshelfers fand er sowohl ein möbliertes Zimmer in einem Vorort
als auch eine Ausbildungsstelle als Koch in einem nahe gelegenen Restaurant.
Obwohl ihn die Arbeitszeiten bis spät in den Abend hinein störten, weil sie das
Schließen von Bekanntschaften erschwerten, bemühte er sich, alle Aufgaben so
gewissenhaft wie nur möglich auszuführen. Knut wollte diese zweite Chance nicht
erneut aufs Spiel setzen.
    Während der Arbeit gelang es ihm meistens, die dunklen Gedanken, die
ihn quälten, zu unterdrücken. Nachts aber kehrten die bohrenden Fragen nach
seinem Vater und dessen Familie zurück. Wer war er? Was hatte seine Frau wirklich
gewusst? War vielleicht sogar sie es gewesen, die ihren Mann gedrängt hatte,
die Beziehung zu Knuts Mutter so ungerührt zu beenden?
    Knut spann seine Überlegungen weiter: Sein Vater konnte nicht von
Grund auf schlecht gewesen sein, hatte er ihm doch regelmäßig Geld überwiesen.
Seine Frau musste die Ursache dafür sein, dass sein Vater sich nicht zu ihm und
seiner Mutter bekannt hatte. Sie war schuld. Sie und ihr ganzer verdammter Anhang!
    Im Laufe der Monate wurde diese fixe Idee zu Gewissheit. Und sein
Hass auf die unbekannte Familie, die seine Mutter vertrieben hatte und für sein
Schicksal verantwortlich war, wuchs.
    Er musste herausbekommen, wer sie waren und wo sie lebten.
    Und dann, eines Tages, kam plötzlich die zündende Idee, wie er das
anstellen konnte.
    Knut nahm sich einige Tage
frei und fuhr nach Norden. Dort unterhielt der Notar, der ihm geschrieben hatte,
seine Kanzlei.
    Knut vermutete aufgrund der Nähe, dass sein Vater auf einer der
ostfriesischen Inseln gelebt hatte. Die nordfriesischen Inseln in
Schleswig-Holstein erschienen ihm zu weit entfernt. Natürlich war nicht auszuschließen,
dass sein Vater den Anwalt gut gekannt hatte, vielleicht sogar mit ihm
befreundet gewesen war. Dann hätte er sicher auch einen weiteren Anreiseweg in
Kauf genommen. Es bestand auch die Möglichkeit, dass sein Vater lediglich per
Telefon oder Brief mit dem Notar in Kontakt getreten war. Aber daran glaubte er
nicht.
    In Norden fragte er sich zum Stadtarchiv durch und erkundigte sich
dort, welches die meistgelesenen Tageszeitungen der Region seien, und bat darum,
ihm die Ausgaben für den Oktober 1990 zur Einsicht

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