Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
es, und auch er setzte sich wieder. Er deutete zur Theke, aber Midori schüttelte den Kopf. Sie war noch nicht so weit, mit dem Mann das Brot zu brechen.
Ich beobachtete sie etwa zehn Minuten. Im Verlauf ihrer Unterhaltung nahmen die Gesten des Fremden etwas Flehendes an, während Midoris Haltung sich immer mehr zu versteifen schien. Schließlich stand sie auf, verbeugte sich rasch und wich zurück. Der Fremde erwiderte die Verbeugung, aber wesentlich tiefer und irgendwie verlegen.
Wem von beiden sollte ich jetzt folgen? Ich beschloss, dem Telefonmann die Entscheidung zu überlassen.
Als Midori aus dem Starbucks kam und zurück in Richtung Roppongi ging, sah der Telefonmann ihr nach, rührte sich aber nicht von der Stelle. Es ging ihm also um den Fremden, oder jedenfalls mehr als um sie.
Der Fremde brach kurz nach Midori auf, ging zurück zur Station der Hibiya-Bahn auf der Roppongi-dori. Der Telefonmann und ich folgten ihm im gleichen Abstand wie zuvor. Auf dem Bahnsteig wartete ich eine ganze Wagenlänge von beiden entfernt, bis eine Bahn Richtung Ebisu einfuhr und wir alle einstiegen. Ich stellte mich mit dem Rücken zu ihnen, beobachtete sie im Spiegelbild der Glasscheibe, bis die Bahn in Ebisu hielt und ich sie aussteigen sah.
Ich tat es ihnen eine Sekunde später nach und hoffte, der Fremde würde in die andere Richtung gehen, doch er kam direkt auf mich zu. Mist. Ich verlangsamte meinen Schritt, blieb dann vor einem Plan der U-Bahn-Station stehen und blickte so darauf, dass keiner von beiden im Vorbeigehen mein Gesicht sehen konnte.
Es war spät, und es gingen nur wenige Leute mit uns aus dem Bahnhof. Ich hielt eine halbe Treppe Abstand zwischen uns, als wir aus der Tiefe des Bahnhofs nach oben stiegen, und ließ ihnen dann gut zwanzig Meter Vorsprung, bis ich auf die Straße trat, um ihnen zu folgen.
Am Rande von Daikanyama, einem vornehmen Tokioter Vorort, steuerte der Fremde auf ein großes Apartmenthaus zu. Ich sah, wie er einen Schlüssel in die Tür steckte, die sich dann automatisch öffnete und wieder hinter ihm schloss. Der Telefonmann nahm das offensichtlich ebenfalls zur Kenntnis, ging am Hauseingang vorbei und blieb zwanzig Schritte weiter stehen. Er holte sein Handy hervor, drückte eine Taste und sprach kurz. Dann nahm er eine Packung Zigaretten aus der Tasche, zündete sich eine an und setzte sich auf den Bordstein.
Nein, der Typ arbeitete nicht für den Fremden, wie ich kurz in Erwägung gezogen hatte. Er beschattete ihn.
Ich zog mich in die Dunkelheit im hinteren Teil eines Firmenparkplatzes zurück und wartete. Fünfzehn Minuten später brauste ein leuchtend rotes Motorrad heran, das aussah wie eine Rennmaschine und dessen Auspuff so manipuliert worden war, dass es einen ohrenbetäubenden Krach machte. Der Fahrer, mit passend leuchtend roter Ledermontur und Visierhelm, hielt vor dem Telefonmann. Der Telefonmann deutete auf das Haus, in dem der Fremde verschwunden war, stieg auf das Motorrad, und sie donnerten in die Nacht davon.
Ich wäre jede Wette eingegangen, dass der Fremde dort wohnte, aber in dem Gebäude waren Hunderte von Wohnungen, und ich wusste weder, welche seine war, noch, wie er hieß. Zudem gab es bestimmt mindestens zwei Ausgänge, so dass es nichts bringen würde zu warten. Ich blieb, bis das Geknatter des Motorrades verklungen war, bevor ich nachsah, welche Adresse das Haus hatte. Dann ging ich zurück zur Station Ebisu.
5
VON EBISU AUS fuhr ich mit der Hibiya-Bahn zur Station Hibiya, wo ich in die Mita-Bahn umstieg und nach Hause fuhr. Ich steige allerdings niemals direkt um, daher verließ ich zuerst den Bahnhof, um einen GAG zu machen.
Ich ging auf einen Sprung in einen Tsutaya-Musikladen und schlenderte an den Teenagern in ihren Grunge-Klamotten vorbei, die sich die neusten japanischen Popsongs über Kopfhörer anhörten und dabei im Takt mitwippten. Auf dem Weg zum hinteren Teil des Ladens blieb ich hier und da an den CD-Regalen stehen, die einen Blick zum Eingang boten, und schaute kurz hoch, um zu sehen, wer nach mir hereinkam.
Ich stöberte ein wenig in der Klassikabteilung herum, ging dann weiter zum Jazz. Spontan schaute ich nach, ob es eine CD von Midori gab. Tatsächlich: Another Time. Auf dem Coverfoto stand sie unter einer Straßenlaterne, anscheinend in einer der schäbigeren Gegenden von Shinjuku, die Arme verschränkt, das Profil im Schatten. Das Label sagte mir nichts – noch unbekannt. Ihr Durchbruch ließ noch auf sich warten, aber ich
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