Tokio Killer - 02 - Die Rache
auf der anderen Seite verschraubt. Die Bolzen verkündeten: BESUCHER UNERWÜNSCHT.
Ich sah mich um. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein blauer Wellblechschuppen, baufällig, die Fenster nach innen gebogen wie die eingesunkenen Augen einer Leiche. Rechter Hand war ein kleiner Waschsalon mit drei Waschmaschinen und drei Trocknern, die sich in zwei ordentlichen Reihen gegenüberstanden. Die Wände waren vergilbt und mit welligen Plakaten geschmückt. Verschüttetes Waschpulver und Zigarettenkippen lagen auf dem Boden. Ein schräg von der Wand abstehender Automat bot Waschpulver zu fünfzig Yen das Päckchen an, obwohl die Kundschaft nur aus Gespenstern zu bestehen schien.
In dem schlammfarbenen Mauerwerk rechts von der Tür befand sich ein kleiner schwarzer Knopf. Ich drückte ihn und wartete.
Ein Schlitz in Kopfhöhe wurde geöffnet. Von der anderen Seite fixierte mich durch Drahtgeflecht hindurch ein Augenpaar. Die Augen waren leicht blutunterlaufen. Sie sahen mich an, ruhig.
«Ich möchte hier trainieren», sagte ich in knappem Japanisch.
Ein Augenblick verging. «Hier gibt’s kein Training», lautete die Antwort.
«Ich habe den vierten Dan im Judo. Der Club hier ist mir von einem Bekannten empfohlen worden.» Ich nannte den Namen des toten Gewichthebers.
Die Augen hinter dem Schlitz verengten sich. Der Schlitz wurde geschlossen. Ich wartete. Eine Minute verstrich, dann eine weitere. Der Schlitz öffnete sich wieder.
«Wann hat Ishihara-san dir den Club hier empfohlen?», wollte der Besitzer eines neuen Augenpaares wissen.
«Vor etwa einem Monat.»
«Du hast dir aber Zeit gelassen.»
Ich zuckte die Achseln. «Ich war verreist.»
Die Augen musterten mich. «Wie geht es Ishihara-san?»
«Als ich ihn das letzte Mal gesehen hab, ging’s ihm gut.»
«Wann war das?»
«Vor einem Monat.»
«Wie heißt du?»
«Arai Katsuhiko.»
Die Augen blinzelten nicht. «Ishihara-san hat deinen Namen nie erwähnt.»
«Wieso sollte er?»
Noch immer kein Blinzeln. «Unser Club hat eine Regel. Wenn ein Mitglied den Club einem Nichtmitglied gegenüber erwähnt, erwähnt er das Nichtmitglied auch gegenüber dem Club.»
Ich blinzelte auch nicht. «Ich kenne eure Regeln nicht. Ishihara-san hat mir gesagt, das hier wäre genau das Richtige für mich. Kann ich nun hier trainieren oder nicht?»
Die Augen wanderten nach unten zu der Sporttasche, die ich bei mir trug. «Willst du jetzt trainieren?»
«Deshalb bin ich hier.»
Der Schlitz schloss sich wieder. Einen Moment später wurde die Tür geöffnet.
Dahinter lag ein kleiner Vorraum. Backsteinwände. Abblätternde graue Farbe. Der Besitzer der Augen musterte mich von oben bis unten. Er schien nicht sonderlich beeindruckt. Das war eigentlich keiner.
«Du kannst trainieren», sagte er. Er war barfuß, trug Shorts und ein T-Shirt. Ich schätzte ihn auf einsfünfundsiebzig und zirka achtzig Kilo. Ein wenig stämmig. Graumelierter Bürstenhaarschnitt, etwa sechzig Jahre alt. Seine Glanzzeit hatte er vermutlich hinter sich, aber er war noch immer ein durchtrainiert aussehender Bursche, der es nicht nötig hatte, Eindruck zu schinden.
«Sore wa yokatta», erwiderte ich. Schön. Rechts hinter dem stämmigen Kerl stand eine kleinere, drahtigere Ausgabe mit für einen Japaner recht dunkler Hautfarbe. Sein Kopf war bis auf die schwarzen Stoppeln geschoren. Ich erkannte die blutunterlaufenen Augen wieder – dasselbe Paar, das mich zuerst durch das Drahtgeflecht gemustert hatte. Er war zwar schmächtiger als der ältere Mann, aber er strahlte eine gewisse Intensität und Unberechenbarkeit aus.
Kleinere Männer können gefährlich sein. Da sie mit ihrer Größe niemanden einschüchtern können, müssen sie lernen zu kämpfen. Ich weiß das, weil ich, bevor ich in der Army kräftiger wurde, einer von ihnen war.
Vom Vorraum gelangte man in einen rechteckigen Raum, etwa sechs mal neun Meter. Er roch nach altem Schweiß. Der Raum wurde von einer Judo-Tatami-Matte dominiert. Ein halbes Dutzend muskelbepackter Männer machten darauf Randori, eine Art Kampfübungen. Sie trugen Shorts und T-Shirts, wie der Mann, der mir die Tür geöffnet hatte, keine Judogi. Auf einer Ecke der Matte übte jemand an einer liegenden mannsgroßen Puppe. Kopf, Hals und Brust der Übungspuppe waren zur Verstärkung mit Isolierband umwickelt wie bei einer Mumie.
In einer anderen Ecke baumelten zwei schwere Ledersäcke an dicken Ketten von freiliegenden Balken. Große Säcke, mindestens siebzig Kilo.
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