Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
hatte keine Papiere bei sich. Diesbezüglich gibt es keine Probleme.«
Verdammt, Winters war ein guter Mann gewesen. Gründlich. Sein Tod war ein schwerer Schlag. Hilger fiel ein, dass er Winters' Schwester anrufen musste, Elizabeth Shannon. Winters war nicht verheiratet gewesen; seine Schwester war seine nächste Angehörige. Hilger war nach dem Krieg eine Zeit lang mit ihr zusammen gewesen. Inzwischen war sie verheiratet und hatte Kinder, aber sie hatten noch immer ein freundschaftliches Verhältnis. Verflucht, wie ihm vor diesem Anruf graute! Das verdankte er Rain, und dafür hasste er ihn.
»Wie geht's weiter?«, fragte Demeere.
Hilger erwog kurz, den Mann nach Hongkong zu dem Treffen mit VBM zu bestellen, entschied sich dann aber dagegen. Es wäre hilfreich gewesen, ihn anstelle von Winters dabeizuhaben, doch er hielt es für wichtiger, weiter jemanden auf Rain und Dox anzusetzen. Die beiden mussten sterben. »Versuchen Sie, Rain und Dox aufzuspüren«, sagte Hilger zu ihm. »Wie Sie vorgehen, überlasse ich Ihnen, aber ich rate dringend davon ab, sie noch einmal zu stellen. Wir haben schon zu viele Leute verloren, und ohne ein vollständiges Team vor Ort sehe ich da ohnehin keine Möglichkeit. Wenn Sie sie finden und es ergibt sich die Chance, erledigen Sie sie einfach.«
»Alles klar«, sagte Demeere. »Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
Hilger legte auf. Himmelherrgott, die Operation ging langsam den Bach runter. Aber er musste eine Lösung finden. Er hatte zwei Jahre gebraucht, um dieses Treffen mit VBM zustande zu bringen. Und er hatte dafür nicht nur Zeit investiert. Er hatte auch Dinge tun müssen, die ihn bis ans Endes seiner Tage verfolgen würden. Und wenn es tatsächlich irgendwo einen Gott gab, würde Hilger ihm eines Tages so manches erklären müssen.
Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, schloss die Augen und legte die Fingerspitzen an die Stirn. Ja, er hatte in dieser Zeit so einige schwere Anrufe hinter sich gebracht, Anrufe, wie sie niemand gern führte. Den Typen in Amman ausschalten zu müssen, ein Amerikaner mit Familie, war nicht leicht gewesen. Und Informationen zu verschweigen, obwohl er wusste, dass sie Menschenleben in Bali, Jakarta und sonstwo gerettet hätten ... tja, auch damit würde er leben müssen.
Aber es bewirkte auch jede Menge Gutes, und darauf konzentrierte er sich. Man musste den Blick auf das große Ganze richten. War es falsch von den Briten, Coventry nicht zu evakuieren, als sie herausfanden, dass die Nazis die Stadt bombardieren wollten? Wenn die Stadt evakuiert worden wäre, hätten die Nazis gewusst, dass ihr Enigma-Code geknackt worden war, und sämtliche Pläne der Alliierten wären gefährdet gewesen. Die Menschen in Coventry mussten geopfert werden, damit andere leben konnten. Es war nicht schön, wenn man es so formulierte, aber genauso war es. Der Unterschied war, dass die Politiker heute nicht mehr den Mumm hatten, solche Entscheidungen zu treffen. Und so war die unangenehme Arbeit an Männern wie ihm hängenblieben.
Es war schon seltsam, dachte er, dass keine Demokratie überleben könnte, wenn sie sich ohne Einschränkung an ihre eigenen Ideale halten würde. Er wusste, dass Leute wie er, die unabhängig hinter den Kulissen arbeiteten und all die Dinge taten, die kein anderer übers Herz brachte, Demokratie überhaupt erst funktionsfähig machten, sie vor der Erkenntnis ihrer eigenen Verlogenheit bewahrten und dafür sorgten, dass die Bürger nachts ruhig schlafen konnten.
Paradoxerweise war ausgerechnet Rain ein Mann, der das alles verstehen könnte. Hatten die Japaner nicht sogar einen Ausdruck dafür? Honne und Tatemae - eigentliche Wahrheit und gesellschaftliche Fassade? Wirklich nützliche Wörter. Dass Amerikas Lexikon diese Unterscheidung nicht kannte, sprach Bände: Nicht nur dass wir uns gegen die Einsicht in die Notwendigkeit wehrten, nein, schon der Grundgedanke war uns völlig fremd.
Rain. Hilger stellte sich vor, was für ein gutes Gefühl das sein würde, wenn er die Bestätigung erhielt, dass der Mann tot war. Er war überrascht von der Intensität dieses Gefühls. Normalerweise nahm er solche Dinge nicht persönlich. Aber drei gute Männer waren tot, und jetzt musste er Elizabeth Shannon anrufen ... ganz zu schweigen von dem Druck, den das alles auf seine ganze Operation ausübte.
Ja, er wollte ihn tot, unbedingt. Und Dox auch. Er fragte sich, ob er vielleicht die Chance hätte, die Sache selbst zu erledigen.
18
DER FLUG NACH H
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