Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
meine ein bisschen. Und dann sehen wir weiter.«
Er entspannte sich, nur ein wenig. Ich dachte, Okay.
»Nein!«, rief Delilah. »Erschieß ihn.«
Verdammt, das würde ich ja, wenn du bloß mit mir zusammenarbeiten würdest...
Al-Jib verstärkte den Klammergriff um ihren Hals. »Waffe fallen lassen!«, schrie er wieder.
Delilah starrte mich an, die Augen voller Zorn. »Erschieß ihn!«, röchelte sie. »Verdammt, nun mach schon!«
Er würgte sie, ob absichtlich oder unabsichtlich, wusste ich nicht. Ich merkte, dass mir die Kontrolle über die Situation entglitt. Er war so in Panik, dass er vielleicht abdrückte, ohne es zu wollen. Oder dass er sie erschoss, nur damit sie den Mund hielt. Oder dass er sich sonst irgendwie verkalkulierte.
»Lass die verdammte Pistole fallen!«, schrie er wieder. »Oder ich ...«
In einer einzigen fließenden Bewegung zog Delilah den Kopf ein und schlug mit der rechten Hand gegen die Pistole. Ein Schuss löste sich und traf die Decke. Ich war so mit Adrenalin vollgepumpt, dass er sich kaum lauter als ein Knallfrosch anhörte.
Al-Jib wollte die Waffe wieder nach unten richten. Delilah packte sie mit beiden Händen. Und erneut fiel ein Schuss.
Ich ging näher ran. Delilah war zwischen uns, vor seinem Oberkörper, und sie kämpften miteinander. Ich war noch zu weit entfernt, um einen Schuss zu riskieren.
Er ließ ihren Hals los und versuchte, ihr mit beiden Händen die Pistole zu entwinden. Vergeblich. Er blickte auf, sah mich auf ihn zukommen und begriff, dass er verloren hatte.
Er ließ die Waffe los und wollte sich umdrehen, um die Flucht zu ergreifen. Doch die Kugel einer .38 legt zweihundertfünf-zig Meter pro Sekunde zurück. Da meine Entfernung zu ihm keine sechs Meter mehr betrug, erreichte ihn die Kugel, die ich abfeuerte, in rund einer Vierzigstelsekunde. Was, wie sich herausstellte, etwas schneller war, als er sich wegdrehen konnte. Die Kugel traf ihn ins Gesicht. Er wurde von der Wucht herumgeschleudert und stolperte auf die Reling zu. Ich folgte ihm, konzentrierte mich auf den Oberkörper, um ihm den Todesschuss zu geben.
Neben mir fielen zwei weitere Schüsse. Sie trafen Al-Jib in die Seite. Am Rande meines Gesichtsfeldes sah ich, wie Delilah an mir vorbeiging, die Kimber wieder in beiden Händen, unversöhnlich wie ein Todesengel.
Al-Jib versuchte, sich aufzurichten. Delilah ging weiter auf ihn zu. Sie schoss ihm zweimal in den Kopf. Seine Hände flogen hoch, und er fiel über die Reling in das dunkle Wasser.
Eine lange Sekunde sah ich sie an. Ich hielt die Pistole noch immer im Kampfgriff.
Delilah blieb keuchend stehen, erwiderte meinen Blick, aber mit glasigen Augen. Sie senkte die Kimber.
Ich zögerte noch, kämpfte mit dem Gedanken, dass sie Gil angerufen hatte. Dann traf irgendetwas in ihren Augen, in ihrer Haltung, die Entscheidung für mich. Ich senkte die .38er und steckte sie in den Hosenbund.
Ich blickte zum Bug. Die Lichter von Tsim Sha Tsiu waren keine Minute mehr entfernt.
Ein paar wortlose Sekunden verstrichen. Dann gab Delilah mir die Kimber.
»Da«, sagte sie. »Ich kann sie nirgendwo verstecken, wie du gesagt hast. Und es könnte sein, dass wir sie noch brauchen.«
Ich steckte die zweite Pistole in den Hosenbund und blickte sie an, suchte nach Worten.
Sie sagte: »Ich musste es tun. Auch für dich.«
»Wie meinst du das, für mich?«
»Eines Tages werden Al-Jib und seinesgleichen eine Nuklearwaffe in einer Großstadt detonieren lassen. Dann werden eine halbe Million Menschen sterben. Unschuldige Menschen - Familien, Kinder, Babys. Es wird passieren, ja, aber nicht, weil ich nichts dagegen unternommen habe, obwohl ich was hätte tun können. Und du könntest die Bürde genauso wenig tragen wie ich. Das werde ich nicht zulassen.«
Ich merkte, dass an der Seite des Schiffes, wo die Passagiere jede Minute von Bord gehen würden, große Aufregung herrschte und die Leute durcheinanderschrien. Während wir uns auf Al-Jib konzentrierten, war mir das nicht aufgefallen.
Delilah und ich gingen dort hinüber, tauchten in die Menge ein. Die Leute ganz am Anfang, die gesehen hatten, was passiert war, und uns erkannten, machten uns noch Platz. Doch je tiefer wir eindrangen, desto weniger wurde uns diese Höflichkeit zuteil. Weiter vorn hatte niemand etwas gesehen. Die Leute wussten nicht, wer wir waren, und es kümmerte sie auch nicht. Sie hatten Schüsse und Panikschreie gehört, und sie wollten einfach nur von der Fähre runter, sobald sie
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