Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
lächelte ihn an.
Der Direktor, der geflissentlich die Bemerkung überhörte, sagte: »Damit wäre dann ja wohl alles klar.«
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AM TAG NACH DEM M A NNY-D E BAKEL machte ich mich auf den Weg zum Restaurant Bangkok Baan Khanitha, Sukhumvit Road 23. Es war der Treffpunkt, den ich mit Dox vereinbart hatte, falls die Sache aus dem Ruder lief - wie es ja auch passiert war.
Ich entschied mich für eine indirekte Route zum Restaurant, zum einen, um einer aufkeimenden Nostalgie zu frönen, zum anderen aus den üblichen Sicherheitsgründen. Das Sukhumvit-Viertel hatte sich in den Jahrzehnten, seit ich während des Krieges zuletzt hier gewesen war, unübersehbar verändert. In seinen wesentlichen Aspekten war es allerdings gleich geblieben. Damals hatte es noch keine Hochhäuser gegeben und ganz bestimmt keine schicken Einkaufszentren, und der Verkehr, wenn er auch damals schon chaotisch war, hatte noch nicht die Ausmaße einer biblischen Katastrophe erreicht. Doch der vorherrschende Geruch, die Schwingungen, damals wie heute, zeugten von billigen Geschäften, viele davon sexueller Natur. In meinem Kopf war es in Sukhumvit immer um letzte Gelegenheiten gegangen: die letzte Party am letzten Abend, den jeder ausdehnen will, weil es morgen wieder zurück in den Krieg geht; die letzte Chance auf ein nächtliches Abenteuer, das im grellen Licht des neuen Tages sicherlich Anlass zu Bedauern geben wird; die letzte verzweifelte Zuflucht bei den Frauen, deren Zauber und damit auch deren Preise unter das Niveau im nahe gelegenen Patpong gefallen sind.
Ich spazierte über die Sukhumvit Road, ließ mich vom Menschenstrom tragen oder ihn an mir vorbeifließen. Unglaublich, wie sehr das Viertel gewachsen war. Nach dem Krieg war ich natürlich mehrfach wieder hier gewesen und einmal hatte ich sogar einen Job hier erledigt, einen eingewanderten Japaner, doch aus irgendeinem Grund weigerte sich mein inneres Ich, die veränderte Topographie der Gegend zu akzeptieren. Auch damals gab es Straßenstände, ja, aber nicht so viele. Jetzt hatten sie sich überall auf dem Gehweg breitgemacht und boten allen möglichen Ramsch feil: billige Koffer, gefälschte Markenuhren, raubkopierte DVDs, T-Shirts mit dem Aufdruck »No Money, no Honey«. Händler umschmeichelten und beschwatzten die Leute, wetteiferten mit dem Summen der Menge, dem Dröhnen vorbeifahrender Busse, dem typischen Aufheulen von Motorrollern und Tuk-Tuks, die sich im Zickzack einen Weg durch den verstopften Verkehr suchten. Ich roch Dieselabgase und Curry und merkte erstaunt, wie ich von Traurigkeit und Verlustgefühlen überwältigt wurde, die ich mir nicht erklären konnte. Nichts hier sah so aus wie damals, aber es roch noch so, und der Widerspruch war verwirrend.
Ich ging weiter. Und dann, mit einer plötzlichen Mischung aus Freude und Entsetzen, stieß ich auf ein Relikt: das Miami Hotel, das noch immer oben an der Soi 1 3 stand. Das Hotel, das schon schäbig war und Schimmel ansetzte, als es Ende der sechziger Jahre hochgezogen wurde, um US-Soldaten auf Fronturlaub aufzunehmen, wirkte jetzt wie ein architektonischer Mittelfinger, der sich dem reichen, exklusiven Bangkok entgegenstreckte, das ringsherum emporwuchs. Als ich vorbeischlenderte, fiel mein Blick auf einen grauhaarigen Ausländer, der aus einem der Fenster hinab auf die Straße schaute. Er hatte die Miene eines Mannes, der eine lebenslange Gefängnisstrafe für ein Verbrechen absitzt, das er nicht versteht, und ich hielt es für möglich, dass ich soeben einen der ursprünglichen Bewohner gesehen hatte, so halsstarrig und anachronistisch wie das Hotel selbst. Ich ging weiter. Unter den Wellblechdächern von Ladenlokalen saßen Araber und Sikhs mit Turbanen, rauchten Zigaretten und tranken Kaffee. Prostituierte lauerten in den Foyers von Massagesalons, Passanten ignorierten ihre traurigen Augen und ihr verzweifeltes Lächeln. Ein Beinamputierter, dreckig und in Lumpen, lag auf dem Gehweg und hielt mir eine Tasse hin, in der Kleingeld klimperte. Ich gab ihm ein paar Baht und setzte meinen Weg fort. Einen halben Block weiter tat sich eine Lücke in den Verkaufsständen auf, und ich sah ein Schild mit der Aufschrift Thermae Bar & Coffee House. Es war eine heruntergekommene Kaschemme, wo einst Frauen den Soldaten vom Miami ihre Dienste angedeihen ließen. Ich fragte mich, ob die Kunden das Lokal noch immer »Therme« nannten, was irgendwie passend und naheliegend war. Das ursprüngliche Gebäude war offenbar abgerissen
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