Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
Jannick zur Arbeit fuhr.
Mir gefiel, was ich sah. Die Straße bestand aus zwei schmalen Fahrspuren und wurde offensichtlich kaum noch genutzt. Auf beiden Seiten war Gras bis auf den Randstreifen gewachsen, und der Asphalt war mit Laub übersät, das normalerweise vom Autoverkehr weggeweht worden wäre. Die auf beiden Seiten dicht an dicht stehenden Bäume waren zurückgeschnitten worden, damit keine toten Äste auf die Straße fielen. Das abgeschnittene Geäst hatte man an manchen Stellen zusammengetragen. Auf der Ostseite, dort, wo die Straße von der Page Mill Road wegbog, wuchsen die Bäume und Sträucher immer dichter, bis die Hauptverkehrsader unmöglich zu sehen und der Autolärm fast nicht mehr zu hören war. Auf der Westseite verlief ein Maschendrahtzaun mit Warnschildern: GELÄNDE DER STANFORD UNIVERSITY – KEIN ZUTRITT. Hinter dem Zaun eine leere Hügellandschaft, anscheinend der Grund und Boden, auf dem Stanford keine Eindringlinge duldete.
Da, wo die Straße auf die Page Mill Road führte, durften Fahrzeuge sich zwar nach rechts in den fließenden Verkehr einfädeln, aber das Linksabbiegen war während der Rushhour verboten – ein weiterer Grund, warum Autofahrer die OPM wahrscheinlich mieden. Am anderen Ende hingegen verjüngte sich die Straße sanft zu einem Radweg, der parallel zur Page Mill Road verlief und dann im Bogen nach links auf den Junípero Serra. Jannicks Strecke. Ich sah auf, und wie zur Bestätigung kamen zwei Frauen über den Radweg und fuhren an mir vorbei. Ich nickte vor mich hin. Die Stelle erschien mir geeignet. Jetzt musste ich mir nur noch die passende Methode überlegen.
Ich marschierte durch raschelndes Laub zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Zwischen OPM und Page Mill Road lag eine Baustelle, die über eine kurze Brücke zugänglich war. Ich ging näher ran und sah, dass die Brücke über einen Bach führte, der sich im Bogen unter der OPM hindurch und dann auf das Stanford-Gelände dahinter erstreckte. Ich kletterte die Böschung hinab und sah nach hinten: Von der Straße aus war ich unmöglich zu sehen. Ganz ausgezeichnet.
Unter der Brücke war eine Betonmauer mit Graffiti übersät. Die Farbe sah allerdings alt aus und verlief stellenweise nur wenige Zentimeter über der Wasserlinie. Ich vermutete, dass sich Jugendliche im Sommer hier trafen, wenn es abends wärmer war, das Wasser niedriger oder der Bach ausgetrocknet, eben einfach angenehmer, um zusammen einen Joint zu rauchen oder zu knutschen oder die Gegend zu verschandeln.
Ich ging wieder hoch auf die Brücke und dann zu der Baustelle. Sie war umzäunt und stand voller Gerätschaften, aber es waren keine Arbeiter da, und die Baustelle wirkte so verlassen wie die Straße selbst. Auf einer Reihe von Schildern am Zaun stand: VORSICHT: GASPIPELINE, STATION 3, DIE STADT PALO ALTO. Im Schatten der Bäume und in der völligen Stille wirkte die Station wie eine Ansammlung von Relikten, als warteten zukünftige Artefakte auf spätere Generationen, die auf sie stoßen und über sie rätseln würden, sollten sie diesen Ort lange nach unserer Zeit entdecken.
Ich verbrachte eine weitere Stunde damit, die Straße auf und ab zu gehen, prägte mir Einzelheiten ein, erkundete Ausweichrouten, verfeinerte den Plan. Dann ging ich zurück zum Wagen. Es war Zeit zum Einkaufen.
In einem Laden in San Francisco, der sich »International Spy Shop« nannte, kaufte ich eine Nachtsichtbrille, die Yukon Viking Pro 2 x 24. In einem REI-Sportgeschäft in Mountain View erstand ich eine Joggingausrüstung der Marke Under Armour, von Kopf bis Fuß in Schwarz – Jacke, Leggings, Handschuhe, eine schwarze Fleecemütze, eine große, schwarze Bauchtasche und eine Rolle schwarzes Klebeband. Auf einem Schießstand namens Reed’s in Santa Clara kaufte ich eine SureFire-M6-Guardian-Taschenlampe – keine zwanzig Zentimeter lang, nur 5 Zentimeter im Durchmesser, aber fünfhundert Lumen. Und schließlich besorgte ich mir in einem Einkaufszentrum in Palo Alto ein Paar Nike-Laufschuhe.
Um kurz nach drei Uhr nachmittags hatte ich alles beisammen. Nach einer schnellen Suppe und einem Sandwich in einem Restaurant im Einkaufszentrum fuhr ich zurück zum Stanford Park. Ich zog die Vorhänge zu, löschte das Licht und probierte die Ausrüstung aus. Die Nachtsichtbrille erhellte alles. Und die SureFire war absolut blendend. Das Licht war so weiß und grell, dass ich, selbst wenn der Strahl von mir wegzeigte, die Augen zusammenkneifen musste.
Ich
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