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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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nichts. Ich hatte alle Etiketten entfernt, so dass jetzt nichts mehr auf dem Karton verriet, was drin war.
    Zwei Blocks vom Wagen entfernt stieg ich aufs Rad und fuhr mit einer Hand am Lenker zur Mott, wie ein ganz gewöhnlicher Fahrradkurier in kunterbunter Wetterschutzkleidung, ein schweres Kettenschloss vor der Brust, auf einem alten Stahlross, das ich hässlich angestrichen hatte, wie es alle Kuriere machen, damit keiner auf die Idee kommt, es zu klauen. Ich rollte gemächlich die Straße hinunter, überprüfte die Gefahrenstellen und bemerkte nichts Auffälliges. Wie beim letzten Mal, als ich hier war, verwandelte das Tageslicht die Glastür in einen Spiegel, so dass der Flur dahinter vom Bürgersteig aus nicht einzusehen war. Die Klingelleiste neben der Tür war erneut mit Benachrichtigungen von Zustellern geschmückt, und ich nickte, zufrieden, dass ich mir deswegen schon mal keine Gedanken zu machen brauchte.
    Ich lehnte das Rad gegen die Hausmauer links von der Tür, die Seite, auf der sie sich öffnen würde, wenn Accinelli sie aufschloss. Ich stellte den Karton ab und legte die Kette um den Fahrradrahmen, jedoch ohne sie einrasten zu lassen. Es wäre mir egal gewesen, wenn das Rad gestohlen würde, und ich wollte auf gar keinen Fall Zeit mit dem Öffnen des Schlosses vergeuden müssen, wenn die Sache erledigt war. Ich musste nur während der paar Minuten, die ich auf Accinelli wartete, einen beschäftigten Eindruck machen.
    Ich blickte in nördlicher Richtung der Mott, weil ich damit rechnete, dass er von Süden her kommen würde, wie zuvor. Dank des kleinen Seitenspiegels konnte ich die Straße hinter mir wunderbar beobachten. Aus Accinellis Perspektive musste es so aussehen, als würde ich ihn gar nicht wahrnehmen, da ich ihm ja den Rücken zukehrte.
    Eine Minute später sah ich, wie er um die Ecke von der Prince Street bog, auf meiner Straßenseite, und im Seitenspiegel langsam größer wurde. Heißes Adrenalin verteilte sich von meinem Bauch aus, und mein Herz begann zu rasen. Ich blickte nach vorn und sah keine Probleme.
    Ich beobachtete im Spiegel, wie er näher kam. Heute im anthrazitfarbenen Anzug mit gelber Krawatte. Er holte seine Schlüssel hervor, wie beim letzten Mal. Zehn Schritte. Fünf. Drei.
    Als er den Eingang erreichte, richtete ich mich auf und hob den Karton vom Boden, mühte mich umständlich damit ab, als wäre er richtig schwer. Ich drehte mich zu ihm um. Er war inzwischen auf der obersten Stufe. Ich folgte ihm. Er steckte den Schlüssel in die Tür und schloss auf. Ich war jetzt direkt hinter ihm. Er öffnete die Tür.
    »Können Sie mal eben aufhalten?«, fragte ich und machte einen Schritt über die Schwelle, so dass er kaum eine andere Wahl hatte.
    Ich sah einen Funken Unsicherheit in seiner Miene aufblitzen. Eigentlich lässt man einen Fremden nicht einfach so in ein New Yorker Apartmenthaus. Aber mit dem Outfit, dem Helm und dem Karton sah ich echt aus. Es wäre unhöflich gewesen, mir nicht wenigstens die Tür aufzuhalten und mich mit dem schweren, sperrigen Paket draußen in der Kälte stehenzulassen. Ich wusste, irgendwo tief in seinem Innern fragte er sich instinktiv, warum der Fahrradkurier nicht einfach bei den Leuten klingelte, für die das große Paket bestimmt war. Aber da er die Situation vor allen Dingen rasch hinter sich bringen wollte, um möglichst ungestört weiter ins Haus gehen zu können, redete er sich bestimmt ein, dass ich mit Sicherheit geklingelt hätte, wenn ich nicht zufällig gesehen hätte, wie er gerade die Tür aufschloss …
    »Klar«, sagte er, trat nach rechts und hielt die Tür auf, während ich an ihm vorbeiging.
    »Vielen Dank«, sagte ich und blickte über den Karton nach vorn. Ein schnurgerader Flur mit verputzten Wänden, leer. Stören könnte höchstens jemand, der mit dem Aufzug nach unten fuhr oder von der Straße hereinkam. Aber um kurz vor Mittag an einem Werktag und bei nur dreißig Apartments im Gebäude war das Risiko gering.
    Ich stellte den Karton mit einem Ächzen vor der linken Wand ab, so dass für Accinelli nur eine schmale Lücke auf der anderen Seite blieb, um an mir vorbeizukommen. Ich stand da, als würde ich verschnaufen, wartete darauf, dass er sich an mir vorbeizwängte.
    Plötzlich durchfuhr mich ein jäher, widerlicher Verdacht, wie ein Faustschlag in die Magengrube. Eine Abfolge von Gedanken schoss mir in vorbewussten Stichworten durch den Kopf, laserscharf und laut wie ein Hupkonzert, eine Botschaft, die in einer

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