Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
von der Bühne, und setzte sich. Ihr Herzschlag war leicht beschleunigt, und sie merkte, dass sie nervös war. Fast hätte sie gelacht. Sie hatte Aufträge erledigt, bei denen sie ohne Zweifel getötet worden wäre, wenn sie sich auch nur einen Fehler erlaubt hätte oder sonst irgendwas schiefgelaufen wäre. Und jetzt saß sie hier, wo es um einen vergleichsweise trivialen Einsatz ging, und sie hatte Lampenfieber wie eine Anfängerin. Es war lächerlich. Sie bestellte noch einen Rotwein.
Sie spürte, wie sie von Männern an einigen Tischen beobachtet wurde, und wusste, dass ein paar von ihnen den Mut aufzubringen versuchten, sie anzusprechen. So war es stets, wenn sie allein ausging. Irgendwann rang sich immer einer durch. Wenn sie ihn nett fand, was selten der Fall war, hatte sie Gesellschaft. Wenn sie ihn nicht nett fand, erteilte sie ihm eine Abfuhr, und danach traute sich von den anderen keiner mehr.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie jemand zwei Tische weiter aufstand. Der Typ mit kurzem dunklem Haar und Dreitagebart in der abgewetzten Lederjacke, prophezeite sie. Er war ihr aufgefallen, als sie hereingekommen war und den Raum nach möglichen Problemen abgesucht hatte.
Sie hatte recht. Der Mann wahrte höflich, aber nicht schüchtern Distanz zu ihrem Tisch und sagte: »Entschuldigen Sie.«
Delilah sah ihn an und hob die Augenbrauen.
»Sie warten vermutlich auf jemanden«, fuhr er lächelnd fort, »aber falls nicht, würden meine Freunde und ich uns freuen, wenn Sie sich zu uns gesellen würden. Sind Sie ein Fan von Midori?«
Er war eigentlich richtig süß. Die Jacke gefiel ihr, und er hatte ein sympathisches Lausbubenlächeln. Aber nicht heute Abend.
»Ich kenne sie noch nicht so gut«, sagte Delilah. »Und ja, ich warte auf jemanden. Aber nett, dass Sie gefragt haben. Danke.«
Der Mann nickte. »Nun, wenn derjenige aus irgendeinem Grund den Verstand verlieren sollte und nicht auftaucht, wir sitzen zwei Tische weiter.«
Delilah sagte: »Danke«, ihr unmissverständlich letztes Wort. Der Mann lächelte ihr noch einmal zu und ging.
Einen Augenblick später betraten Midori und zwei junge Männer die Bühne. Sie waren alle in Schwarz gekleidet, was aber bei Midori völlig unprätentiös wirkte. Himmel, zusammen mit dem schwarzen Haar und der weißen Haut sah es phantastisch aus. Die Worte Sie hat ein Kind mit ihm schossen ihr durch den Kopf, und sie erschrak über die heftige Eifersucht, die der Gedanke auslöste.
Midori setzte sich ans Klavier, einer der Männer ans Schlagzeug, während der andere sich die Bassgitarre umhängte. Das Licht wurde gedimmt, und sie fingen an zu spielen. Delilah verstand längst nicht so viel von Jazz wie Rain, aber sie erkannte das erste Stück, Bill Evans’ »Detour Ahead«.
Ein Kellner brachte den Wein, den sie bestellt hatte. Nach der Hälfte des Glases hatte sich ihre anfängliche Nervosität ein wenig gelegt. Sie begriff, warum sie nervös war: Sie gab nicht vor, eine andere Person zu sein. Wenn sie Aufträge ausführte, arbeitete sie immer verdeckt. Ohne diese Deckung fühlte sie sich nackt, ungeschützt.
Sie war hierhergekommen, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich wollte. Midori abschrecken, ihr Angst einjagen, irgendetwas sagen oder tun, was das, was zwischen ihr und Rain war, vergiften würde. Aber das war bloß ein primitiver Reflex.
Informationen, darum ging es. Sie wollte so vieles wissen. Und sie würde nichts erfahren, wenn sie die verletzte, wütende, nachtragende Frau war, als die sie sich fühlte. Nein. Sie würde nur dann etwas erfahren, wenn sie all das heute Abend ablegte und jemand anderer wurde. Jemand, bei dem Midori sich wohlfühlte, der sie faszinierte, mit dem sie reden und demgegenüber sie sich öffnen würde.
Als das Set über eine Stunde später zu Ende war und der Applaus verebbte, war ihre Nervosität längst verschwunden. Sie wusste, wer sie heute Abend war, sie wusste, was sie wollte, wusste, wie sie es bekommen würde.
Ein paar der Stammgäste standen Schlange, um mit Midori und ihrer Band ein paar Worte zu wechseln. Einige hatten vorher CDs gekauft und warteten darauf, sie signieren zu lassen. Delilah schaute zu. Die Frau war nett und freundlich zu ihren Fans, aber Delilah sah ihr an, dass sie sich hinter einer professionellen Fassade versteckte, während sie mit ihnen plauderte. Die Fassade war nicht direkt falsch, die Herzlichkeit durchaus echt – aber trotzdem war das auch nicht die Frau, die sie wirklich war. Delilah
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