Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
Einheimischen gefertigten Lackwaren.
Ich ging zum Hafen hinunter, die Schultern gegen eine eisige Meeresbrise hochgezogen. Die Straße war auf beiden Seiten mit ausrangierten Fischereiutensilien gesäumt – zerrissene Netze, kaputte Ballasttanks, verrostete Krebsfallen. Vieles davon war mit blauen Planen bedeckt, die wie zitternde Leichentücher die Formen darunter verhüllten. Überall kreischten Möwen. Hinter dem Schrott hoben und senkten sich unzählige kleine Fischerboote, zerrten knarzend an ihrer Vertäuung, die verhedderte Takelage wie ein Skelett vor den am Horizont dahinjagenden Wolken. Ein zerdrückter Kaffeebecher schlitterte vom Wind getrieben an meinen Füßen vorbei, und vom Himmel senkte sich jetzt ein kalter Nebel, der vom Wasser landeinwärts trieb.
Es war durchaus denkbar, dass sie sich hier treffen wollten, aber ich bezweifelte das. Zum einen war das Gelände zu unübersichtlich, zum anderen konnten hier jederzeit irgendwelche Leute auftauchen. Ich ging an der Küste entlang Richtung Osten. Riesige Betonwellenbrecher lagen am Strand wie vergessene Geschütze aus einem lang zurückliegenden Krieg. Der Nebel wurde dichter und die Wolken dunkler, und ich spürte, dass ein Unwetter in der Luft lag.
Als ich an den Wellenbrechern vorbei war, kam ich zu einer Art Park, der als Lagerplatz für weitere Bauvorhaben diente. Vereinzelte Lkw standen herum, und ich sah Berge von Zement und Stahlträgern und ähnlichen Baumaterialien. Hinter einer weiten Grasfläche kam nackte Erde und dann gleich das offene Wasser. Hier, dachte ich, genau hier werden sie es machen. Die Stelle ist perfekt. Und auch perfekt geeignet für einen Scharfschützen. Ich machte mit der Kamera, die wir in New York gekauft hatten, Fotos aus verschiedenen Perspektiven. Dann ging ich zurück zum Van, um Dox anhand der Bilder einen Eindruck vom Terrain zu verschaffen.
Kurz vor zwei waren wir mit der Sichtung der Fotos fertig, und ich fuhr uns zu dem Gasthof, einem kleinen, dreigeschossigen Gebäude, das durch eine schmale Küstenstraße und eine kurze Grasböschung vom Meer getrennt war. Ich hielt auf dem Parkplatz hinter dem Haus. »Meinst du, du kommst klar?«, fragte ich Dox. »Ich weiß nicht, wann Yamaotos Leute eintrudeln. Könnte ein Weilchen dauern.«
»Partner, ich hab schon mal drei Tage im Schlamm gewartet, ehe meine Beute in Sicht kam. Hab ihn auch umgenietet, aus achthundert Metern Entfernung. Das Innere eines Van kommt mir dagegen paradiesisch vor. Hab meinen Schlafsack, Schaumstoffmatratze, Essen, Wasser, eine Plastikflasche fürs kleine Geschäft und einen Eimer und Plastiktüten fürs große. Außerdem Lesematerial, inklusive ein paar erstklassige japanische Pornohefte. Das Leben könnte nicht besser sein.«
»Na, da werd ich wohl mal lieber anklopfen, bevor ich reinkomme«, sagte ich, und er lachte.
Ich blickte durch die Fenster auf der Fahrer- und Beifahrerseite. Auf dem Parkplatz standen drei weitere Autos, womöglich vom Gasthofpersonal oder Gästen, die gestern oder noch früher eingecheckt hatten. Es waren alles kleine, ältere Toyota-Modelle und dergleichen, und keines hatte ein Tokioter Kennzeichen. Ich hatte das Gefühl, dass Yamaotos Männer noch nicht da waren. Dennoch, ich prägte mir die Autos ein, damit ich später einen Vergleich hatte.
»Du siehst sie wahrscheinlich früher als ich«, sagte ich. »Ich schätze, die werden auch hier parken.«
»Ja, ich riskiere einen Blick, sobald ich ein Auto kommen höre. Wenn ich was Vielversprechendes sehe, ruf ich dich auf dem Handy an.«
Ich stieg aus und ging zum Vordereingang. Kaum hatte ich das Gebäude betreten, umfing mich der warme Geruch von Räucherstäbchen und Tatamimatten. Eine Frau mittleren Alters in einem blauen Kimono begrüßte mich mit einer Verbeugung. Ich zog die Schuhe aus und folgte ihr hinein. Sie bat mich, an einem niedrigen Tisch in der Lobby Platz zu nehmen, wo ich – oder besser gesagt Mr. Watanabe – ein Anmeldeformular ausfüllte.
Das Ganze hatte etwas Rituelles an sich, und mir wurde klar, dass Yamaotos Männer vermutlich ebenfalls hier sitzen würden. Ich sah mich nach einem guten Aussichtspunkt um und entdeckte zu meiner Freude einen zur Lobby hin offenen Sitzbereich im ersten Stock. Von dort hatte man einen herrlichen Blick aufs Meer und, was aus meiner Sicht noch wichtiger war, auf den Eingang, durch den Yamaotos Männer hereinkommen würden.
Die Frau brachte mir eine Tasse Gerstentee. »Sie reisen allein, Watanabe-san?«,
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