Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
fragte sie, zweifellos in der Hoffnung, eine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage nach dem Grund zu bekommen.
»Ja«, erwiderte ich. »Meine Frau ist vor Kurzem verstorben, und weil wir hier unsere Flitterwochen verbracht haben, wollte ich noch einmal hierher.«
»Es betrübt mich, von Ihrem Verlust zu hören«, sagte sie und beugte den Kopf. Wie ich erwartet hatte, stellte sie angesichts von Watanabes trauriger Geschichte keine weiteren Fragen. Aber ich war zuversichtlich, dass bald das ganze Personal Bescheid wissen und es niemand verwunderlich finden würde, wenn er den traurigen Watanabe-san ganz allein stundenlang da oben im ersten Stock sitzen sah.
Ich brachte meine Reisetasche in mein Zimmer im zweiten Stock, zwölf Tatamimatten groß mit einer Nische und einem Meeresblick, der trotz des Gewirrs aus Hochspannungsleitungen davor beeindruckend war. Dann ging ich nach unten ins Lobbyrestaurant, wo ich mir einen Platz mit Blick auf den Eingang nahm, und aß lange und genüsslich zu Mittag – Austern aus der Anamizu-Bucht, süße Shrimps aus den Tiefen des Japanischen Meeres und Gelbschwanz aus heimischem Fang, mit Rettichscheiben und roter Paprika. Während ich speiste, checkten ein paar ältere Paare ein, aber offensichtlich nicht die Leute, auf die Dox und ich warteten.
Danach begab ich mich in den Sitzbereich im ersten Stock, wo ich wartete, als wäre ich in Erinnerungen vertieft. Es wurde schon dunkel draußen, als mein Handy summte. Ich blickte auf die Anzeige im Display – Dox.
Ich drückte den Annahmeknopf. »Ja.«
»Wie’s aussieht, ist unsere Gesellschaft endlich eingetroffen«, sagte Dox.
»Bist du sicher?«
»Sagen wir, ich habe den starken Verdacht. Sie müssten jeden Moment reinkommen.«
»Wie sehen sie aus?«
»Oh, keine Sorge, die kannst du gar nicht übersehen.«
»Wie meinst du das?«
»Wart’s ab.«
Ich blickte hinunter in die Lobby. Ich hörte die Eingangstür auf- und zugehen. Die Frau im blauen Kimono, die mich begrüßt hatte, rief »Irasshaimase« – willkommen – und eilte hinter der Empfangstheke hervor. Einen Augenblick später tauchten zwei gigantische Männer, offenbar Sumoringer, unter mir auf. Ich lehnte mich weit zurück, um von unten nicht gesehen zu werden. Von meinem Blickwinkel aus war ich mir nicht ganz sicher, aber ich schätzte jeden der beiden auf über hundertfünfzig Kilo. Es war, als würde ich auf die Köpfe und Schultern von zwei Bisons schauen.
»Ach du Scheiße«, flüsterte ich.
»Schätze, du hast sie gesehen«, sagte Dox.
»Verdammt, wir haben nur vier Bolzen.«
»Ja, um mit Roy Scheider in Der weiße Hai zu sprechen, ›Wir brauchen ein größeres Boot.‹«
Sie sagten etwas zu der Frau, aber ich konnte nicht genau hören, was. Sie geleitete sie herein.
Es war nicht nur ihre Körpermasse, der ihren Hintergrund verriet. Sie hatten den langsamen, stolzen Sumogang, die majestätische – fast göttliche – Ausstrahlung, wie sie aus Größe und Berühmtheit erwächst. Sie waren es gewohnt, angestarrt zu werden, Aufmerksamkeit und Ehrfurcht auf sich zu ziehen, und sie bewegten sich, als stünde ihnen diese Bewunderung rechtmäßig zu, ohne dass sie verpflichtet wären, sie mit mehr als gleichmütiger Akzeptanz zu erwidern.
Ich wich weiter zurück aus ihrem Gesichtsfeld. »Hast du gesehen, was sie für einen Wagen fahren?«, fragte ich.
»Natürlich. Einen dicken, burgunderroten Cadillac, Lenkrad auf der linken Seite.«
Hörte sich ganz nach einem Yakuza-Schlitten an. Sie mussten es sein.
»Hast du das Kennzeichen gesehen?«
»Ja.« Er nannte es mir, und ich schrieb es auf.
»Leg auf«, sagte ich. »Ich ruf gleich zurück.«
»Alles klar.«
Ich rief Tatsu an. Das Telefon klingelte einige Male, dann sagte seine schwache Stimme: »Hai. «
»Wie geht’s dir?«, fragte ich.
»Ich bin noch da.«
Mit einem Mal überwältigte mich die beängstigende Erkenntnis, dass ich ihn irgendwann in baldiger Zukunft anrufen und er sich nicht melden würde, ja, überhaupt nicht mehr da wäre.
Ich verdrängte den Gedanken und sagte: »Ich glaube, unsere Jungs sind da, aber ich möchte auf Nummer sicher gehen. Kito und Sanada … sind die beiden Sumoringer?«
»Ich weiß nicht. Kann ich aber rausfinden.«
»Also schön. Hier ist das Nummernschild des Wagens, den sie fahren. Tokioter Kennzeichen.«
Ich las es ihm vor. Er sagte, er würde zurückrufen.
Ich spähte wieder nach unten in die Lobby. Die Männer hatten ihre Anmeldeformulare ausgefüllt,
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