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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Fest
auch die Kameras der Fernsehsender an. Beim Hauptumzug tragen die Gläubigen einen zwei Meter hohen Penis an den Schaulustigen vorbei. Straßenverkäufer bieten Lollis in Phallusform an, die von kleinen Kindern bis zur alten Oma alle begeistert lutschen. (Wirklich! Ich gebe nur wieder, was alljährlich in Kawasaki los ist.) Kleine Büdchen verkaufen Rettiche und Möhren, die in die entsprechende Form geschnitzt sind.
    In einem Nebengebäude findet sich im Obergeschoss eine heilige Vagina auf zwei Beinstummeln aus Blech. Wer im Amulettgeschäft im Erdgeschoss ein Penisfigürchen kauft und ihn dagegenreibt, erhöht seine Potenz und Fruchtbarkeit. Der frisch verheiratete Kenji verlor jedoch aus Ungeschicklichkeit sein Amulett in dem Loch. »Passen Sie doch bitte besser auf, jetzt müssen wir das wieder hervorfischen«, sagte die Aufseherin. »Sie sollen ihn doch nur reiben, nicht hineintun! Sonst wird das nichts mit der Fruchtbarkeit.«

    Eigentlich gelten Japaner ja als berührungsscheu. Auf diesen Extremfesten scheinen sie jedoch geradezu verzweifelt nach Körperkontakt zu suchen. Die religiösen Feiern sind bloß ein Vorwand, um sich nur mit einem Lendentuch bekleidet in ein barbarisches Gewühl zu stürzen. Auf dem Dairo kuten-Nacktfest wälzen sich die Gläubigen dicht an dicht in einem Schlammpfuhl. Im ganzen Lande baden sich Männer auf verschiedenen Feiern fast nackt in eiskaltem Meer- und Seewasser. Vermutlich rettet ihre große Anzahl ihnen das Leben. Wie immer bleiben sie in der Gruppe eng zusammengedrängt. In der Mitte ist es dann vielleicht gar nicht mehr so kalt.

    An Neujahr ging ich mit Kenji und einer Besucherin aus Deutschland, Petra, zum »Tempel des großen Buddha-Lehrers« in der Nähe von Kenjis Wohnort. »Der Kawasaki Daishi wirkt besonders glücksbringend«, versicherte Kenji. Die Wunderkräfte des Daishi seien in ganz Japan bekannt. Der Besuch wurde zum Lehrstück für japanische Organisation und Disziplin bei der Durchführung eines Großereignisses. Später in den Nachrichten hörte ich, dass dieses Jahr knapp drei Millionen Menschen den Kawasaki-Daishi besucht hatten. Schon beim Aussteigen aus der zum Bersten vollen S-Bahn steuerten Polizisten mit lauten Durchsagen den Menschenstrom.
    Links und rechts des Wegs standen Buden mit bunten Baldachinen, die den üblichen Volksfestkram anboten: gebackene Oktopusklößchen oder Kuchen in Form von Pokemon für Kinder, aber auch Handlesen oder Fischefangen. In der Mitte der Straße hatte die Polizei ein Seil gespannt: Linksverkehr.
    Die Menschenschlange schob sich dicht an dicht zwischen Einfamilienhäusern bis zum »Berg-Tor« des Schreins weiter. Über dem Tor hatte sich eine uniformierte Mitarbeiterin des privaten Sicherheitsdienstes auf einer Plattform mit Lautsprecheranlage positioniert. »Bitte bewahren Sie Ordnung, und rücken Sie nur langsam vor. Bleiben Sie innen nicht stehen, drehen Sie sich nicht um, und halten Sie nicht zum Fotografieren inne. Der Rauch in der Platzmitte ist wundertätig.«
    Alle paar Minuten pfiff ein Obersicherheitsmann auf einer Trillerpfeile, dann konnten etwa hundert Besucher in den Hof vorrücken und geschlossen den wundertätigen
Rauch einatmen. Wir warfen schnell unsere 50-Yen-Münzen, klatschten in die Hände, wünschten uns Glück und ließen uns dann von der Menge seitlich wieder aus dem Tempel hinausschieben.
    Ich kaufte mir noch so eine Art Indianerpfeil, der häusliches Glück brachte, wenn er in der Wohnung nach Norden ausgerichtet lag. Oben hingen weiße Federn daran, unten ein paar Glöckchen und eng zusammengefaltet das Amulett mit den glücksbringenden Schriftzeichen. Die Spitze war mit einem Gummipropfen gesichert.
    Kenji zog noch ein Schicksalslos. Für 100 Yen durfte er eine Büchse schütteln. Aus einem Loch kam eine Art Mikado-Stab mit einer Nummer. Der Priester hinter dem Schalter griff in die passende Schublade und zog einen Zettel hervor. Darauf stand ein Jahreshoroskop. »Leider nur kleines Glück«, sagte Kenji traurig.
    Als ich auf dem Rückweg aus Kawasaki den Pfeil in der S-Bahn vor mir auf die Spitze stellte, sprach mich eine ältere Dame an. »Herr Ausländer, Sie können den Pfeil nicht so in den Schmutz stellen, der Gott könnte etwas dagegen haben, und dann wirkt das Amulett nicht mehr!«

    Die Japaner lassen auch Science-Fiction wahr werden, wo immer es geht. Sie lieben vor allem elektrische Geräte, die sprechen können. Dass mein Geldautomat jedes Mal zu mir sagt: »Vielen Dank

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