Tokio Vice
ich für Sie herumgefragt, und jetzt sind wir quitt.«
»Was ist da drin?«
»Fotos. Warum einen so hübschen Körper vergeuden? Sie haben die Fotos gemacht und den anderen Mädchen in den Clubs gezeigt, damit die wissen, was mit ihnen passiert, wenn sie lästig werden. Werfen Sie einen Blick darauf, dann wissen Sie, dass ich Sie nicht anlüge.«
Ich holte die Fotos heraus. Sie waren schrecklich. Ich habe keine Lust, sie genauer zu beschreiben.
Es war eine Frau. Vielleicht war es Helena, ich weiß es nicht. Das Haar war wie ihres, lang und kastanienbraun. Die Augen waren glasig, sie wirkten nicht wie ihre, aber tote Augen sehen wahrscheinlich immer anders aus. Ich suchte nach dem Leberfleck, den sie auf der Oberlippe hatte, fand ihn aber nicht. Allerdings hatte man ihr die Lippen abgeschnitten – keine sehr subtile Botschaft.
Ich hatte nicht viel Zeit, die Fotos anzuschauen, bevor er sie mir aus der Hand riss und wieder in den Umschlag und dann in den Rucksack steckte.
Ich hatte Mühe, mich nicht zu übergeben, und zu verbergen, dass ich mich sehr, sehr elend fühlte. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass die Schwerkraft stärker geworden war und mich auf meinem Stuhl festnagelte.
»Wie dem auch sei, gute Arbeit. Goto ist weg vom Fenster. Das macht das Leben für mich ein wenig leichter.«
»Ich habe noch eine Frage.«
»Aber ich habe keine Antworten mehr.«
»Hat Goto angeordnet, sie zu ermorden? Falls sie ermordet wurde.«
»Was denken Sie?«
»Ich glaube gar nichts. Ich will nur wissen, was passiert ist.«
»Das kann ich mir vorstellen. Vielleicht hat ihn jemand angerufen und gefragt, was sie tun sollen. Vielleicht haben sie aber auch auf eigene Faust gehandelt. Ich weiß es nicht. Warum fragen Sie Goto nicht selbst?«
»Glauben Sie denn, er würde es mir sagen?«
»Nein, aber es wäre lustig, wenn Sie ihn fragen würden. Selbst wenn er den Befehl erteilt hat, bezweifle ich, dass er sich daran erinnern würde.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Damit Sie es wissen. Damit Sie erkennen, was passiert, wenn man nicht das tut, was man tun soll.«
»Was hätte ich denn tun sollen?«
»Sie hätten einen Artikel darüber schreiben sollen, dass Tadamasa Goto einen Handel mit dem FBI geschlossen hat, um sich in den USA eine Leber transplantieren zu lassen – und dass er dafür einige Mitglieder der Kodo-kai verpfiffen hat. Das hätten Sie tun sollen. Dann wäre seine Karriere sofort beendet gewesen.«
»Aber genau das habe ich jetzt getan. Ich habe Goto und drei andere Dreckskerle entlarvt, die in der UCLA eine Leber bekommen haben.«
Zyklop grinste. »Tja, über die anderen drei hätten Sie besser nicht schreiben sollen. Die hätten sie nicht einmal kennen sollen. Eine Menge Leute sind sauer darüber, dass Sie so tief gegraben haben. Ich gebe zu, dass Sie ein besserer Reporter sind, als ich dachte. Aber Sie sind dumm, begriffsstutzig, stur und rücksichtslos, doch das macht wohl einen guten Journalisten aus.«
Wir saßen stumm am Tisch.
Dann streckte er sein Kinn vor und hob die Augenbrauen.
»Und?«
»Und was?«
»Bedanken Sie sich nicht, wenn Ihnen jemand etwas schenkt?«
»Danke.« Mehr konnte ich nicht sagen.
»Gern geschehen. Tja, es muss hart sein zu wissen, dass sie noch am Leben wäre, wenn Sie sich richtig verhalten hätten. Das muss echt weh tun. So etwas kann einem Journalisten echt die Karriere versauen. Denn wer traut noch einem Reporter, dessen Informanten umgebracht werden?«
»Wenn das, was Sie sagen, stimmt … dann ja.«
»Sie wissen, dass es stimmt, Sie feiger Scheißkerl. Ich lüge nicht.«
»Doch«, sagte ich, allmählich wütend, »Sie lügen. Sie haben mich schon einmal belogen, und ich habe keinen Grund anzunehmen, dass Sie jetzt nicht lügen.«
»Warum sollte ich Sie anlügen?«
»Weil Sie ein rachsüchtiger Wichser sind und wollen, dass ich mich so mies fühle wie Sie.«
Er kicherte. Er war eindeutig bekifft.
»Sie glauben also, ich habe mir das nur ausgedacht, um Sie zu ärgern?«
»Ich weiß nicht, sagen Sie es mir doch.«
»Wenn Sie das glauben wollen, bitte sehr. Wir sind fertig miteinander.« Damit stand er auf und ich stand auch auf.
»Hören Sie«, sagte ich und versuchte ihn aufzuhalten, »sagen Sie mir einfach, dass Sie die Wahrheit sagen. Geben Sie mir eines dieser Fotos. Das kann ich dann jemandem zeigen, eine Fotoanalyse machen lassen, die Knochenstruktur vergleichen oder so. Wenn sie es ist, will ich es wissen. Mehr will ich
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