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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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da?«
    »Mama Strawberry. Wer ist da? Grey-san?« »Ja.«
    »Strawberry schicken sofort Aufzug runter.«
    Im fünfzigsten Stock angekommen, stieg ich zögernd aus.
    Das Garderobenmädchen in ihrem adretten gelb-schwarzen Kleid war unbekümmert fröhlich, doch sobald ich durch die Aluminiumtür getreten war, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Die Heizung war so niedrig gestellt, dass die Hostessen in ihren Cocktailkleidern fröstelten. Alle Kunden sahen missmutig aus, und Strawberry saß trübselig an ihrem Schreibtisch. Sie trug einen schmal geschnittenen, wadenlangen weißen Pelzmantel und starrte geistesabwesend auf eine Namenliste, eine Flasche Tequila neben sich. Ihr Make-up unter der kleinen Fünfzigerjahrebrille aus Strass war verschmiert. »Was ist denn hier los?«
    Sie sah mich blinzelnd an. »Einige Kunden Hausverbot in
    diesem Klub. Hausverbot. Verstehen, Lady?« »Wer hat Haus verbot?«
    »Miss Ogawa.« Sie schlug ihre Hand auf den Tisch, so dass die Flasche einen Hüpfer vollführte und sich Kellner und Hostessen umdrehten. »Ich habe dir gesagt, oder nicht? Was habe ich gesagt, hä?« Sie deutete mit dem Finger auf mich und schnaubte wütend. »Erinnerst du dich, dass ich dir sage, Miss Ogawa hat ein Chin chin in ihrem Höschen, ja? Nun, Grey-san, schlechte Neuigkeiten! Sie hat auch hinten Schwanz. Du ziehst Miss Ogawas Höschen aus und zuerst ...«, sie spreizte ihre Knie und wies mit dem Finger zwischen ihre Beine, »... zuerst du siehst ein Chin chin hier. Und hier hinten ...«, sie drehte ihre Hüften seitwärts und klatschte auf ihren Hintern, »... du siehst Schwanz. Weil sie ein Tier ist. Schlicht und einfach. Ogawa, Tier.« Ihre Stimme wäre vielleicht noch schriller geworden, wenn sie nicht etwas zum Verstummen gebracht hätte. Sie legte den Kugelschreiber beiseite, schob ihre Brille auf die Nasenspitze und sah mich über den Rand hinweg durchdringend an. »Dein Gesicht? Was passiert mit deinem Gesicht?«
    »Strawberry, hören Sie, Jason wird heute nicht zur Arbeit erscheinen. Und die Russinnen auch nicht. Sie haben mir aufgetragen, Ihnen auszurichten, dass sie nicht wiederkommen. Sie sind fortgegangen, ich weiß nicht, wohin.«
    »Mein Gott!« Den Blick auf meinen Bluterguss geheftet, vergewisserte sie sich, dass uns niemand belauschte. Dann beugte sie sich vor und sagte: »Sag Strawberry die Wahrheit. Ogawa kommt auch zu Grey-san, ja?«
    Ich sah sie verwirrt an. »Auch?«
    Sie schenkte sich einen weiteren Tequila ein und kippte ihn in einem Zug. »Okay«, sagte sie und tupfte sich den Mund mit einem Spitzentaschentuch ab, »wir besser reden. Setz dich, setz dich.« Sie zeigte auf den Stuhl, fuchtelte dabei kommandierend mit der Hand herum. Ich nahm wie betäubt Platz. »Grey-san, schau dich um.« Sie hob die Hand und deutete auf die leeren Tische. »Schau Strawberrys Klub. So viele Mädchen nicht hier! Du willst wissen, warum, Lady? Mhmm? Du willst wissen, warum? Weil sie zu Hause! Und weinen!« Sie wedelte wütend mit der Namenliste vor meiner Nase, als wäre ich für ihr Fortbleiben verantwortlich. »Jedes Mädchen, das gestern auf Fuyukis Party war, wacht mitten in Nacht auf, und was sehen sie? Miss Ogawa oder einen von Fuyukis Gorillas. Du bist einziges Mädchen, das gestern Abend auf Party war und heute zu Arbeit kommt.«
    »Aber ...« Ich verstummte, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erinnerungen und Bilder überschlugen sich und reihten sich aneinander. »Sie müssen mir die Dinge erklären«, flüsterte ich. »Sie müssen sie ganz genau erklären. Was wollten Sie eben damit sagen? Es war nicht nur unser Haus, es war nicht nur Jason.«
    »Ich glaube - Ogawa Tier«, zischte sie. »Sie geht zu jedem auf Party gestern. Vielleicht sich hält für Weihnachtsmann.«
    »Aber ... warum? Was wollte sie?«
    »Strawberry keine Ahnung.« Sie griff nach einem altmodischen rosa-goldenen Telefon, das auf dem Schreibtisch stand, und wählte eine Nummer. Dann hielt sie die Hand über die Sprechmuschel und murmelte: »Ganzen Abend ich versuche herausfinden.«
    Gegen zweiundzwanzig Uhr an jenem Abend wurde ein Krähenschwarm, den der Wind vom Kurs abgebracht hatte, von einer Bö erfasst und gegen das Fenster des Klubs geschleudert. Ich denke selbst heute noch an diese Vögel. Es war schon spät, und es war einer von diesen Zwischenfällen, die man nicht als böses Omen betrachten will, weil man dafür zu rational ist. Eine Krähe krachte mit solcher Wucht gegen die Panoramascheibe, dass praktisch

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