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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Tisch so, als wäre nichts geschehen, so als ob es respektlos wäre, Aufmerksamkeit auf die Unpässlichkeit des alten Mannes zu lenken. Ich war die Einzige, die dem Pferdeschwanz-Mann mit dem Blick folgte. Ich beobachtete, wie er sich auf dem Platz niederließ, auf dem zuvor Jason gesessen hatte, das Gesicht verborgen im Schatten, während er mit der Krankenschwester sprach. Sie wechselten einige Worte, dann griff die Krankenschwester in ihre Jacke und holte einen Beutel hervor, aus dem sie eine kleine Phiole zog. Sie hielt sie vorsichtig in ihren langen weißen Fingern und schüttete etwas vom Inhalt in ein Glas, das sie dann mit Wasser aus einem Krug auf dem Tisch füllte und dem Mann reichte, der es mit einer weißen Serviette bedeckte und zurück zum Tisch trug, wo er es Fuyuki gab. Der iilte Mann nahm einen kleinen Schluck, dann noch einen. Ich bemerkte, dass ein Rest von etwas Körnigem, ähnlich wie Muskat, am Glas klebte. In der Nische steckte die Krankenschwester den Beutel wieder in die Jacke.
    Neben mir stieß Bison einen leisen, faszinierten Laut aus. Er beugte sich vor und stützte sich mit einem Ellbogen auf den Tisch, beobachtete gebannt, wie Fuyuki den Rest seines Getränks schluckte, das Glas auf den Tisch stellte, sich zurücksinken ließ und, den Kopf in den Nacken gelegt, deutlich hörbar durch seine winzige Nase atmete.
    Bison begann zu lachen. Er lachte schallend, wiehernd, bis sein ganzer Körper bebte. Dann beugte er sich an mir vorbei zu Fuyuki und sagte mit lauter, lallender Stimme: »He, Onii-san, hast du auch was von der Medizin für mich? Etwas, damit ich meinen Mann stehen kann, so wie damals mit zwanzig?«
    Fuyuki antwortete nicht, atmete nur weiter, mühsam und keuchend. »Du weißt schon, was ich meine, du alter Bock. Ein Mittel, das einen so stark macht wie mit zwanzig.« Am Tisch verstummten einzelne Gespräche, und Leute wandten sich um und sahen herüber. Bison schmatzte anzüglich und wedelte mit seiner Hand. »Etwas, um die Ladys zu beglücken? Ja?« Er knuffte mich grob in die Rippen. »Das würde dir gefallen, was?
    Oder nicht? Du hättest gern einen Zwanzigjährigen, jemanden, der seinen Mann steht.« Er sprang auf und stieß dabei gegen den Tisch, so dass ein Teller herunterfiel und auf dem Boden zerbrach. »Ja, das wünsche ich mir. Ich möchte meinen Mann stehen wie Mr. Fuyuki! Wie mein Onii-san, möchte ich ewig leben!«
    Sein Tischnachbar zupfte ihn am Ärmel; ein anderer der Männer legte sich einen Finger an die Lippen. »Ich möchte stocksteif meinen Mann stehen, so wie früher«, sang Bison mit seiner Schmalzstimme und presste die Hände an seine Brust.
    »So stocksteif wie damals, als ich achtzehn war. Oh, sag mir, Kami sama, ist das zu viel verlangt?«
    Als niemand lachte, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Alle waren verstummt, und der Mann mit dem Pferdeschwanz kniff in einer kaum wahrnehmbaren Geste seine geschürzten Lippen diskret mit Daumen und Zeigefinger zusammen. Bisons Grinsen verschwand. Er spreizte seine Hände in einer stummen Geste: Was? Was habe ich gesagt? Doch der Mann mit dem Pferdeschwanz hatte seine Fin
    ger schon wieder gesenkt und inspizierte eingehend seine Nägel, ganz so, als wäre nichts geschehen. Jemand anders hüstelte. Dann, beinahe wie auf ein Signal hin, setzte die Unterhaltung wieder ein. Bison schaute sich am Tisch um.
    »Was?«, versuchte er, sich in dem Stimmengewirr Gehör zu verschaffen. »Was?« Doch niemand beachtete ihn. Sie hatten sich alle in die entgegengesetzte Richtung umgewandt, fanden wichtigere Dinge zum Reden, räusperten sich, zündeten sich Zigarren an.
    Mit verständnislosem Blick griff er schließlich nach einem dampfenden Handtuch und legte es auf sein Gesicht. »Mein Gott«, murmelte er, nachdem er das Handtuch wieder entfernt hatte und nervös zu dem Schatten der Krankenschwester an der Wand blickte, »es kann doch nicht wahr sein ...«
    »Was sagt er?«, zischte Irina und beugte sich zu mir. »Was sagt er?«
    »Keine Ahnung«, murmelte ich, ohne sie anzusehen. »Ich
    habe es nicht verstanden.«
    Eine ganze Weile hatte die Unterhaltung am Tisch etwas Gezwungenes. Fuyuki erholte sich langsam wieder, wischte sich den Mund ab, wickelte das Glas in die Serviette und steckte es in seine Jackentasche. Dann legte er den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Die Männer unterhielten sich weiter, die Mädchen schenkten ihnen nach, und niemand erwähnte den Zwischenfall. Nur Bison blieb stumm. Er

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