Tokio
Samtbändern. Da waren kirschrote Stiefel mit Plattformsohlen und türkisfarbene Taschen, die mit Hunderten von ElvisPresley-Stickern beklebt waren. Die Verkäuferinnen mit ihren Haarschleifen und Rüschenröcken wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Sie neigten ihre Köpfe zur Seite, kauten an ihren Nägeln und musterten mich, während ich staunend zwischen den Auslagen hin und her schlenderte und lernte, wie Leute sich ein sexy Aussehen zulegten.
Ich begann, Dinge zu kaufen - Kleider aus Taft und Samt, kurze enge Röcke aus Seide. Und Schuhe, so viele Schuhe: Pfennigabsätze, Stilettoabsätze, Pumps, Sandaletten mit schwarzen Satinschleifen. In einem Geschäft namens Sweet Girls Emporium and Relax Centre erstand ich eine Packung halterlose Strümpfe. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie Strümpfe getragen. Ich schleppte Berge von Einkaufstüten nach Hause, überladen wie eine Ameise.
Aber natürlich brachte ich nicht den Mut auf, etwas davon zu tragen. Alles blieb eingepackt im Kleiderschrank, Tag für Tag, all die in rotes Seidenpapier gehüllten Kleider. Aber ich dachte an sie, ich dachte viel an sie. Manchmal vergnügte ich mich nachts mit einem kleinen feierlichen Ritual, das ich absolut geheim hielt. Wenn die anderen im Bett lagen, öffnete ich den Wandschrank und holte all
die Dinge heraus, die ich gekauft hatte. Ich schenkte mir ein Glas gekühlten Pflaumenlikör ein und zog den kleinen Schminktisch an eine Stelle unter der Lampe, so dass der Spiegel beleuchtet war. Dann trat ich vor den Schrank und nahm ein Kleid von seinem Bügel.
Es war schrecklich und erregend. Jedes Mal wenn ich mich im Spiegel sah und automatisch nach dem Reißverschluss griff, bereit, mir das Kleid vom Leib zu reißen, sah ich vor meinem geistigen Auge Fuyuki in seinem Rollstuhl und hörte ihn sagen: »Sag mir, sind in England alle Mädchen so hübsch?«
Dann hielt ich inne, holte tief Luft, zog langsam den Reißverschluss wieder zu und zwang mich hinzuschauen, die Wölbung meiner weißen Brüste zu studieren, meine Beine in Seide, dunkel wie tintiges Wasser. Ich zog sehr hohe Pumps an und malte meine Lippen tiefrot an, so rot wie Herzblut. Ich zog meine Augenbrauen nach und übte lange und ausführlich das Anzünden und Rauchen einer Zigarette. Ich stellte mir mit geschlossenen Augen vor, wie ich als Gast in Fuyukis Haus weilte und mich zu ihm vorbeugte, während Rauch zwischen meinen geschminkten Lippen hervorquoll. Im Geist sah ich, wie eine meiner Hände auf einer verschlossenen Truhe ruhte, während die andere elegant ausgestreckt war, um einen großen Schlüssel entgegenzunehmen, den Fuyuki mir reichte.
Schließlich schlug ich die Augen wieder auf, ging zum Kleiderschrank, wickelte alles aus seinem Seidenpapier und verteilte es um mich herum. Da waren samtene Riemchensandaletten, mandarin-und cremefarbene Negliges, ein scharlachroter Ravage-BH in der Form eines Schmetterlings, noch immer in Zellophan verpackt. Unzählige Dinge, die sich bis in die dunklen Winkel des Zimmers ausbreiteten. Ich legte mich mitten hinein, streckte die nackten Arme aus und drehte mich, wälzte mich in meinen Besitztümern, roch ihre Neuheit, ließ meine Haut von ihnen streicheln. Manchmal sortierte ich sie nach bestimmten Kategorien: nach Material zum Beispiel, schwarzer Pikee neben pfirsichfarbener Wollseide, oder nach Farbe, Safran neben Kupfer, Silber neben Petrol, Lila und Neonpink und Grau. Ich hielt sie vor mein Gesicht und atmete ihren teuren Duft ein. Und weil ich in dieser Hinsicht wohl ein wenig merkwürdig bin, schien das Ritual immer zu einem zu führen: meinen Händen in meinem Slip.
Das Takadanobaba-Haus war groß, doch Geräusche breiteten sich wie Wasser entlang des Gebälks und durch die hauchdünnen Reispapierwände aus. Ich musste ganz leise sein. Ich dachte, ich hätte mich immer vorgesehen, bis ich einmal spät nachts die Tür aufschob, um ins Badezimmer zu gehen, und Jason dabei ertappte, wie er nur wenige Schritte entfernt im vom Mondschein beleuchteten Korridor am Fenster lehnte und eine Zigarette rauchte.
Als er hörte, wie die Tür aufging, drehte er sich wortlos zu mir um. Er schaute auf meine nackten Füße, dann wanderte sein Blick langsam hinauf zu dem kurzen Yukata, zu der geröteten Haut meines Busens. Er blies genüsslich den Rauch in die Luft und hob grinsend eine Augenbraue, so als ob ich eine riesige, doch angenehme Überraschung für ihn wäre.
»Hallo«, sagte er.
Ich antwortete nicht,
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