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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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schloss die Tür mit einem Knall, verriegelte sie und lehnte mich dann mit dem Rücken dagegen. Mich sexy anzuziehen, das war eine Sache, aber Jason -nun, Jason ließ mich Dinge über Sex denken, die weit beängstigender waren.

    21
    Nanking, 13. Dezember 1937,
    Einbruch der Nacht
    Sie sind hier. Sie sind hier. Es passiert tatsächlich.
    Ich bin zur Mittagszeit aus dem Haus gegangen, und die Straßen waren verlassen. Ich begegnete keiner Menschenseele, sah nur verriegelte Häuser und verbarrikadierte Läden; an einigen der Türen klebten Zettel mit Adressen in ländlichen Bezirken, wo der Besitzer zu finden war. Ich bog nach rechts in die Zhongyang-Straße ein und folgte ihr bis knapp hinter die Eisenbahngleise, wo ich eine Abkürzung durch eine Gasse zur Zhongshan-Straße nahm. Urplötzlich kamen drei Männer auf mich zugerannt. Sie waren wie Bauern gekleidet und rußverschmiert, wie von einer Explosion. Als ich aufschaute, sah ich, dass in der Ferne über den Häusern um das Shuixi-Tor eine graue Rauchwolke in den Himmel aufstieg. Die Männer rannten schweigend in die Richtung, aus der ich gekommen war, so dass nur das Klatschen ihrer Strohschuhe auf dem Bürgersteig zu hören war. Ich stand auf der Straße, starrte ihnen nach und lauschte auf die Stadt um mich herum. Jetzt, wo ich mich nicht mehr bewegte, konnte ich den entfernten Lärm von Autohupen hören, die sich mit schwachen menschlichen Schreien vermischten. Mir sank der Mut. Ich ging weiter Richtung Süden, auf das Schlimmste gefasst, schlich durch die Straßen, immer dicht an die Häuser gedrängt, bereit, mich augenblicklich mit einem Satz in einen Eingang zu flüchten oder mich auf die Erde zu werfen und auszurufen:
    »Dongyang Xiansheng! - Gebieter aus dem Osten!«
    Auf den Straßen nahe des Flüchtlingszentrums hatten ein, zwei Geschäfte den Mut gefunden zu öffnen. Die Ladenbesitzer standen nervös im Eingang und schauten wie gebannt die Straße entlang in Richtung der östlichen Tore. Ich drückte mich dicht an die Gebäude, schlug Haken, lief geduckt durch die vertrauten Straßen. Mein Herz raste. Ein Stück weiter konnte ich das leise Gemurmel einer Menschenmenge hören. Schließlich erreichte ich eine Seitengasse, die zur Zhongshan-Straße führte, und dort, am Ende der Straße, drängten sich unzählige Menschen, die grimmig in Richtung des Yijiang-Tors starrten - des großen »Wasser«Tors, das sich auf den Jangtse hin öffnete. Sie alle zogen Handkarren, auf denen sich ihre Habseligkeiten türmten. Ein paar blickten kurz zu mir herüber, verwundert darüber, jemanden zu sehen, der keine Anstalten machte zu fliehen. Andere ignorierten mich, hielten ihre Köpfe gesenkt und legten sich mit ihrem ganzen Gewicht in das Zuggeschirr der Handkarren. Hoch oben auf den Karren hockten Kinder und
    beobachteten mich stumm. Sie trugen Fäustlinge und waren eingemummt in Steppjacken, die sie gegen die Kälte schützen sollten. Ein streunender Hund lief zwischen ihnen umher, in der Hoffnung, Futter zu ergattern.
    »Sind sie in der Stadt?«, fragte ich eine Frau, die aus der Menge ausgebrochen war und durch die Gasse, in der ich mich befand, davonrannte. Ich verstellte ihr den Weg, packte sie an den Schultern und zwang sie, stehen zu bleiben. »Haben die Japaner die Stadtmauer gestürmt?«
    »Lauf weg!« Ihr Gesicht war angstverzerrt. Die Holzkohle, mit der sie es sich geschwärzt hatte, war von Tränen verschmiert. »Lauf weg!«
    Sie befreite sich aus meinem Griff und eilte kreischend davon. Ich schaute ihr nach, als hinter mir die Rufe der Menge anschwollen und das Getrampel von Schritten zu hören war, die sich in die Gassen flüchteten. Dann verhallten nach und nach die Schritte, und das Gedränge auf der
    Straße ließ nach. Schließlich spähte ich hinaus auf die Hauptstraße. Zu meiner Linken, im Westen, bewegte sich die Menge auf den Fluss zu, und ich sah, wie die Nachzügler, die Alten und Kranken, sich abmühten, sie einzuholen. Zu meiner Rechten lag die Straße verlassen da, der Boden aufgeweicht von Hunderten von Füßen.
    Ich trat vorsichtig hinaus auf die Straße und wandte mich in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Das Herz schlug mir dabei bis zum Hals. Vor den Ruinen des Ming-Palastes, wo ich gestern noch mit dem Geschichtsprofessor geplaudert hatte, rollten ein paar Nationalistenpanzer vorbei und ließen Matschfontänen hochspritzen. Die Soldaten fuchtelten mit den Armen und riefen mir zu, von der Straße zu verschwinden. Danach

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