Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
solcher Menschen befinden würde. Es war schon besser geworden mit ihm, seit er aus New York weg war, und es würde immer besser werden. Er starrte zur Zimmerdecke empor und dachte daran, daß er nach Griechenland dampfen würde, durch die Adria zum Ionischen Meer bis Kreta. Genau das würde er machen im Sommer. Im Juni. Juni. Wie sanft und süß war doch das Wort, hell und faul und voller Sonne! Seine Träumerei dauerte allerdings nur wenige Sekunden. Die lauten, knarrenden amerikanischen Stimmen erzwangen sich den Weg in seine Ohren, sie senkten sich wie Klauen in die Nerven seiner Schultern und seines Rückens. Ganz von selbst bewegte er sich von der Stelle, bewegte sich auf Marge zu. Außer ihr waren nur noch zwei Frauen im Räume, die abscheulichen Gattinnen zweier abscheulicher Geschäftsleute, und Marge, das mußte er zugeben, sah weitaus besser aus als alle beide, aber ihre Stimme, dachte er, ihre Stimme war schlimmer, sie war wie die der anderen, nur schlimmer.
Es lag ihm auf der Zunge, etwas vom Gehen zu sagen, aber da es undenkbar war, daß der Mann zuerst vom Gehen sprach, sagte er überhaupt nichts, gesellte sich nur zu der Gruppe um Marge und lächelte. Irgend jemand füllte sein Glas neu. Marge erzählte von Mongibello, von ihrem Buch, und die drei Herren mit grauen Schläfen, faltigen Gesichtern, schütterem Haar schienen von ihr ganz hingerissen.
Als Marge selber ein paar Minuten später vorschlug zu gehen, hatten sie schreckliche Mühe, sich von Maloof und Konsorten freizumachen, sie waren jetzt alle noch ein bißchen betrunkener und drängten darauf, daß sie alle zusammen zum Essen gehen sollten, und Mr. Greenleaf auch.
»Dafür ist Venedig da - zum Vergnügen!« sagte Mr. Maloof in steter, stumpfsinniger Wiederholung und nahm die Gelegenheit wahr, seinen Arm um Marge zu legen und sie ein bißchen zu tätscheln, während er sich mühte, sie zum Bleiben zu bewegen, und Tom dachte, wie gut, daß er noch nicht gegessen hatte, denn hier hätte er es gleich wieder von sich gegeben. »Welche Nummer hat Mr. Greenleaf? Laßt uns anrufen!« Mr. Marloof schwankte zum Telephon.
»Ich glaube, wir verschwinden hier besser!« zischte Tom Marge ins Ohr. Mit hartem, wirksamem Griff packte er ihren Ellenbogen und steuerte sie zur Tür, während beide sich nickend und lächelnd nach allen Seiten verabschiedeten.
»Was ist los ?« fragte Marge, als sie auf dem Gang standen.
»Nichts. Ich hatte nur den Eindruck, daß die Party ein bißchen aus den Nähten platzte«, sagte Tom und versuchte, es mit einem Lächeln zu bagatellisieren. Marge war ein bißchen beschwipst, aber nicht zu beschwipst, um zu merken, daß er irgend etwas hatte. Er schwitzte. Perlen standen ihm auf der Stirn, und er wischte sie ab. »Solche Leute machen mich fertig«, sagte er, »reden ununterbrochen über Dickie, und wir kennen sie nicht einmal, ich möchte sie auch gar nicht kennen. Sie machen mich krank!«
»Komisch. Keine Seele hat mit mir über Dickie gesprochen oder auch nur seinen Namen genannt. Ich fand es heute viel schöner als gestern bei Peter.«
Tom hob den Kopf, während er dahinschritt, er schwieg. Es war die Gattung von Mensch, die er verachtete, aber warum sollte er das Marge sagen, die auch dazugehörte?
Sie fragten im Hotel nach Mr. Greenleaf. Es war noch etwas zu früh zum Essen, so tranken sie noch Aperitifs in einem Café in der Nähe des »Gritti«. Tom bemühte sich, seine Explosion auf der Party dadurch wettzumachen, daß er während des Essens besonders liebenswürdig und gesprächig war. Mr. Geenleaf war guter Stimmung, weil er gerade mit seiner Frau telephoniert hatte, sie war in guter Verfassung gewesen, es ging ihr viel besser. Ihr Arzt hätte während der letzten zehn Tage eine neue Spritze ausprobiert, sagte Mr. Greenleaf, und sie schiene besser darauf zu reagieren als auf alles, was sie bisher versucht hätten.
Es war ein stilles Mahl. Tom erzählte einen sauberen, zartkomischen Witz, und Marge lachte vergnügt. Mr. Greenleaf bestand darauf, daß er das Essen bezahlte, und dann sagte er, er wollte wieder ins Hotel gehen, weil er nicht so völlig auf der Höhe sei. Aus der Tatsache, daß er sich vorsichtig ein pasta -Gericht aussuchte und keinen Salat aß, schloß Tom, daß er wohl an den üblichen Touristenbeschwerden litte, und dagegen hätte er ein ausgezeichnetes Mittel gewußt, in jeder Drogerie erhältlich, aber Mr. Greenleaf war nicht ganz der Mann, dem man so etwas hätte sagen können, selbst
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