Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Landkarten betrachtet oder, auf Sofas herumliegend, Reiseführer durchgeblättert hatte, Abende, an denen er seine Kleider durch die Finger gleiten ließ - seine und Dickies Kleider -, Dickies Ringe zwischen den Handflächen gefühlt hatte, mit den Fingerspitzen über den Antilopenkoffer gefahren war, den er im »Gucci« gekauft hatte. Er hatte den Koffer mit einem englischen Spezialpflegemittel poliert- nicht daß er unbedingt hatte poliert werden müssen, das nicht, er nahm ihn sehr in acht - nein, er polierte ihn nur vorbeugend. Er liebte Besitztümer, nicht in Massen, sondern einige ausgewählte Stücke, von denen trennte er sich nicht. Sie verliehen einem Menschen Selbstachtung. Nicht Gepränge, sondern Qualität, und dazu die Liebe, die die Qualität hegte. Besitztümer bewiesen ihm, daß er da war, und sie ließen ihn sein Dasein genießen. So einfach war das. Und war es nicht etwas wert? Er war da. Nicht viele Menschen wußten ihr Dasein so zu schätzen wie er. Nicht viele Menschen auf der Welt verstanden das, selbst wenn sie das Geld besaßen. Dafür war ja im Grunde gar kein Geld nötig, nicht viel Geld, nur eine gewisse Sicherheit war nötig. Er war auf dem Wege dahin gewesen, sogar bei Marc Priminger schon. Er hatte Marcs Besitztümer geschätzt, sie waren es gewesen, die ihn angezogen hatten, aber sie gehörten ja nicht ihm, und es war unmöglich gewesen, mit vierzig Dollar in der Woche anfangen zu wollen, irgend etwas Eigenes anzuschaffen. Das hätte ihn die besten Jahre seines Lebens gekostet, auch wenn er sich bis zum Äußersten eingeschränkt hätte, um die Dinge zu kaufen, die er sich wünschte. Dickies Geld hatte ihm nur noch zusätzlichen Schwung verliehen auf dem Wege, den er gegangen war. Das Geld gab ihm die Muße, Griechenland zu besuchen, etruskische Töpferware zu sammeln, wenn er wollte (neulich hatte er ein interessantes Buch über dieses Thema von einem in Rom lebenden Amerikaner gelesen), sich Künstlerkreisen anzuschließen, wenn er den Drang dazu verspürte, und Geld für ihre Werke zu stiften. Es gab ihm beispielsweise die Muße, heute nacht seinen Malraux zu lesen, solange es ihm gefiel, denn er mußte ja morgen nicht zur Arbeit. Er hatte gerade eine zweibändige Ausgabe von Malraux´ ›Psychologie de l´Art‹ gekauft, die er jetzt las, mit großem Vergnügen, er las sie auf französisch mit Hilfe eines Wörterbuchs. Er könnte jetzt ein Nickerchen machen, dachte er, und dann ein bißchen darin lesen, egal, wie spät es dann sein mochte. Er fühlte sich behaglich und schläfrig trotz der vielen Espressos. Der geschwungene Rand des Sofas schmiegte sich an seine Schultern wie jemandes Arm, nein, besser als jemandes Arm. Er beschloß, die Nacht hier zu verbringen. Es war bequemer hier als auf dem Sofa oben. Gleich würde er hinaufgehen und sich eine Decke holen.
»Tom?«
Er öffnete die Augen. Marge kam die Treppe herunter, barfuß. Tom setzte sich auf. Sie trug seinen braunen Lederbeutel in der Hand.
»Eben habe ich hier drin Dickies Ringe gefunden«, sagte sie atemlos.
»Ach ja. Die hat er mir gegeben. Zur Aufbewahrung.« Tom stand auf.
»Wann?«
»In Rom, glaube ich.« Er ging einen Schritt rückwärts, stieß an einen seiner Schuhe und hob ihn auf, hauptsächlich in dem Bestreben, ruhig zu wirken.
»Was hatte er vor? Warum hat er sie Ihnen gegeben?«
Sie hatte nach Nadel und Faden gesucht, um ihren Büstenhalter zu nähen, dachte Tom. Warum zum Teufel hatte er nur die Ringe nicht woandershin gesteckt, in das Futter dieses Koffers oder so? »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Tom. »War wohl so eine Schrulle von ihm. Sie kennen ihn doch. Er sagte, für den Fall, daß ihm etwas zustoßen sollte, möchte er mir seine Ringe in Verwahrung geben.«
Marge sah ihn verstört an. »Wohin wollte er?«
»Nach Palermo. Sizilien.« Er hielt seinen Schuh mit beiden Händen, er hielt ihn so, daß er den hölzernen Absatz notfalls als Waffe gebrauchen könnte. Auch wie er es tun würde, schoß ihm blitzschnell durch den Kopf: mit dem Schuh niederschlagen, dann zur Vordertür hinauszerren und in den Kanal werfen. Er würde sagen, sie sei gestürzt, auf dem Moos ausgeglitten. Und sie wäre so eine gute Schwimmerin, er hätte doch angenommen, daß sie sich über Wasser halten könnte.
Marge starrte auf den Lederbeutel hinunter. »Dann hatte er die Absicht, sich umzubringen.«
»Ja . . . wenn Sie die Sache so betrachten, die Ringe . . . Sie machen es wahrscheinlicher, daß er es getan
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