Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
glaube, aber er benimmt sich nicht wie ein Amerikaner, nicht wahr? Die meisten Amerikaner sind so lärmend. Er ist schrecklich ernst, nicht, und er kann nicht älter als dreiundzwanzig sein. Irgend etwas Großes muß ihn beschäftigen. Ja, das tat es. Die Gegenwart und die Zukunft des Tom Ripley.
7
Paris war nicht mehr als ein Blick durchs Bahnhofsfenster auf die gegenüberliegenden erleuchteten Cafés mit allem, was dazugehört, regentriefenden Markisen, Tischen auf den Bürgersteigen und Buchsbaumkästen, wie auf dem Werbeplakat eines Reisebüros, ansonsten aber nur endlos lange Bahnsteige, die er entlangtrottete, im Kielwasser rundlicher kleiner Dienstmänner in blauer Uniform, die sein Gepäck schleppten, und schließlich der Schlafwagen, der ihn direkt nach Rom bringen sollte. Nach Paris werde ich schon noch einmal kommen, dachte er, später. Jetzt drängte es ihn, Mongibello zu erreichen.
Als er am nächsten Morgen erwachte, befand er sich in Italien. An diesem Morgen gab es etwas Interessantes. Tom sah sich durch sein Abteilfenster die Landschaft an, als er draußen im Gang vor seinem Abteil einige Italiener reden hörte, und in ihrem Gespräch kam das Wort »Pisa« vor. An der anderen Seite des Zuges glitt eine Stadt vorbei, Tom trat auf den Gang hinaus, um sie besser sehen zu können, und automatisch suchte er den Schiefen Turm, obwohl er keineswegs genau wußte, ob dies Pisa war und ob der Turm überhaupt von hier aus zu sehen sein würde, aber da war er schon! - eine dicke weiße Säule, die weit über die niedrigen, kalkweißen Häuser emporragte, aus denen die Stadt sonst bestand, und er neigte sich, neigte sich in einem Winkel, den er nicht für möglich gehalten hätte! Immer war er davon überzeugt gewesen, daß die Schiefheit des Schiefen Turms von Pisa übertrieben wurde. Er betrachtete es als ein gutes Omen, ein Zeichen, daß Italien all seine Erwartungen erfüllen würde, daß alles gut gehen würde mit ihm und Dickie.
Spät am Nachmittag kam er in Neapel an, und es fuhr kein Bus mehr nach Mongibello, erst morgen wieder, um elf Uhr. Ein Junge von vielleicht sechzehn, schmutzig, in Hemd und Hose und alten Armeeschuhen, heftete sich an seine Fersen, als er am Bahnhof etwas Geld einwechselte, und bot ihm Gott weiß was an, vielleicht Mädchen, vielleicht Rauschgift, und trotz aller Proteste Toms brachte er es tatsächlich fertig, mit ins Taxi zu schlüpfen, er wies dem Chauffeur den Weg, ununterbrochen plappernd und den Zeigefinger in die Luft reckend, als wollte er zu verstehen geben, er werde Tom aufs beste versorgen, abwarten und selber sehen. Tom gab es auf und lehnte verdrießlich mit verschränkten Armen in der Wagenecke, und endlich hielt das Taxi vor einem großen Hotel unmittelbar an der Meeresbucht. Tom wäre erschrocken vor diesem imposanten Hotel, aber es war ja Mr. Greenleaf, der die Rechnung bezahlte.
»Santa Lucia!« sagte der Junge triumphierend und deutete seewärts.
Tom nickte. Schließlich und endlich schien der Junge es doch gut zu meinen. Tom bezahlte das Taxi und reichte dem Jungen einen Hundertlireschein, das waren nach seiner Rechnung sechzehn Komma sowieso Cents, für italienische Verhältnisse ein angemessenes Trinkgeld, das hatte er auf dem Schiff in einem Artikel über Italien gelesen, und als der Junge ihn empört ansah, gab er ihm weitere hundert, und als er dann immer noch empört aussah, wedelte er ihn mit der Hand beiseite und ging in das Hotel, hinter den Pagen her, die sich bereits seines Gepäcks bemächtigt hatten.
Sein Abendessen nahm Tom an diesem Tage in einem Restaurant unten am Wasser ein, es hieß »Zi´Teresa« und war ihm von dem englischsprechenden Hotelportier empfohlen worden. Das Bestellen war eine schwierige Angelegenheit, und es stellte sich heraus, daß er als ersten Gang kleine Tintenfische bestellt hatte, sie waren von einem so giftigen Purpurrot, als hätte man sie in der Tinte gekocht, mit der die Speisekarte geschrieben war. Vorsichtig probierte er das Ende eines Fangarms, und es war ekelhaft hart, wie Knorpel. Auch der zweite Gang war ein Mißverständnis, eine Platte gebratener Fische der verschiedensten Art. Der dritte Gang - er war überzeugt gewesen, es handelte sich um so etwas wie ein Dessert - bestand aus ein paar kleinen rötlichen Fischen. Ach Neapel! Aber was bedeutete schon das Essen. Er fühlte sich leichtbeschwingt vom Wein. Weit weg zu seiner Linken trieb ein Dreiviertelmond über dem zerklüfteten Buckel des Vesuvs.
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