Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
hatte als einen Blick durchs Bahnhofsfenster.
Während er auf sein Kaffeewasser wartete, räumte Tom das Essen beiseite, das ihr Mittagsmahl hätte sein sollen. Ein paar Töpfe setzte er in größere, wassergefüllte Töpfe, um die Ameisen fernzuhalten. Auch das kleine Päckchen frische Butter, zwei Eier und die Tüte mit vier Brötchen lagen da, Ermelinda hatte es für ihr Frühstück morgen gekauft. Sie mußten von allem jeden Tag kleine Mengen kaufen, weil kein Kühlschrank vorhanden war. Dickie wollte von dem Gelde seines Vaters etwas abzweigen für die Anschaffung eines Kühlschrankes. Mehrmals schon hatte er so eine Andeutung gemacht. Tom hoffte, er würde sich noch anders besinnen, denn ein Kühlschrank beschnitte ihr Reisegeld doch sehr erheblich, und für seine eigenen fünfhundert Dollar hatte Dickie jeden Monat einen ziemlich festen Haushaltsplan. Mit Geld ging Dickie vorsichtig um - allerdings unten am Kai und in den Bars des Dorfes warf er links und rechts großzügig mit Trinkgeldern um sich, und jedem Bettler, der ihn ansprach, gab er einen Fünfhundertlireschein.
Um fünf Uhr war Dickie wieder normal. Es war ein guter Malnachmittag gewesen, vermutete Tom, denn während der letzten Stunde hatte er Dickie in seinem Studio pfeifen gehört. Dickie kam auf die Terrasse heraus, wo Tom sich in seine italienische Grammatik vertieft hatte, und gab ihm einige Tips für seine Aussprache.
»Sie sagen nicht immer so deutlich voglio«, sagte Dickie. »Sie sagen ›io vo´ presentare mia amica Marge‹, beispielsweise.« Dickie schwang seine lange Hand im Halbkreis durch die Luft. Wenn er italienisch sprach, unterstrich er es immer mit Gesten, graziösen Gesten, als dirigierte er ein Orchester im Legato. »Du solltest lieber mehr Fausto auf den Mund gucken und weniger in diese Grammatik. Ich habe mein Italienisch auf der Straße aufgelesen.« Dickie lächelte und ging den Gartenweg hinunter. Fausto kam gerade zum Tor herein.
Aufmerksam lauschte Tom ihrem lachenden italienischen Wortgeplänkel, er mühte sich, jedes Wort zu verstehen.
Fausto kam lächelnd auf die Terrasse, sank in einen Sessel und schwang seine nackten Füße auf die Brüstung. Sein Gesicht konnte strahlendes Lachen zeigen und gleich darauf finster blicken, von einer Sekunde zur anderen. Dickie meinte, Fausto sei einer der wenigen im Dorfe, die nicht im südlichen Dialekt sprachen. Er war aus Mailand und für ein paar Monate zu Besuch bei seiner Tante in Mongibello. Er kam, zuverlässig und pünktlich, dreimal in der Woche zwischen fünf und halb sechs, und sie saßen auf der Terrasse, schlürften Wein oder Kaffee und plauderten etwa eine Stunde lang. Tom tat sein Bestes, um sich all das ins Gedächtnis zu prägen, was Fausto über die Berge, das Wasser, die Politik sagte (Fausto war Kommunist, eingeschriebener Kommunist, und Amerikanern zeigte er seinen Mitgliedsausweis mit besonderer Begeisterung, sagte Dickie, weil es ihn immer so freute, wie perplex sie waren) und was er über das hektische, katzenhafte Liebesleben einiger Dorfbewohner erzählte. Manchmal fiel es Fausto schwer, sich ein Gesprächsthema auszudenken, und dann starrte er Tom immer groß an und brach in Lachen aus. Aber Tom machte große Fortschritte. Von all den Sachen, die er bisher hatte lernen müssen, war Italienisch die erste, die ihm wirklich Spaß machte und für die er genügend Ausdauer zu haben glaubte. Tom wollte ebenso gut Italienisch können wie Dickie, und er war der Meinung, daß er in weiteren vier Wochen so weit kommen könnte, wenn er noch ordentlich büffelte.
11
Mit raschen Schritten lief Tom über die Terrasse in Dickies Studio. »Möchtest du in einem Sarg nach Paris fahren?«
»Was?« Dickie hob den Blick von seinen Wasserfarben.
»Ich habe im ›Giorgio‹ mit einem Italiener gesprochen. Wir würden von Triest aus starten, im Gepäckwagen in Särgen liegen, begleitet von irgendeinem Franzosen. Mir schwant, daß es sich um Rauschgift handelt.«
»Rauschgift in Särgen? Ist das nicht ein ziemlich alter Trick?«
»Wir haben italienisch gesprochen, deshalb habe ich nicht alles genau verstanden, aber er hat gesagt, es wären drei Särge, und möglicherweise ist im dritten eine echte Leiche und sie haben das Rauschgift in der Leiche versteckt. Jedenfalls hätten wir die Reise umsonst und noch dazu das Abenteuer.« Er entleerte seine Taschen von den Lucky-Strike-Päckchen aus Schiffsbeständen, die er gerade von einem Straßenhändler für Dickie
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