Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
seine schmutzigen Fingernägel, seinen schmutzigen Hemdkragen, sein abstoßendes dunkles Gesicht, das frisch rasiert, aber nicht frisch gewaschen war, so daß die Haut da, wo der Bart gesessen hatte, viel heller aussah als drumherum. Aber die dunklen Augen des Italieners blieben kühl und liebenswürdig, sie waren stärker als Dickies Augen. Tom war, als müßte er ersticken. Er konnte sich nicht ausdrücken auf italienisch. Er hätte gern mit Dickie und dem Mann gesprochen.
»Niente, grazie, Berto«, sagte Dickie ruhig zu dem Ober, der herangetreten war, um sie nach ihren Wünschen zu fragen. Dickie sah Tom an. »Gehen wir?«
Tom sprang so heftig auf, daß sein Stuhl zu Boden polterte. Er stellte ihn wieder hin und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von dem Italiener. Er hatte das Gefühl, der Italiener könnte von ihm ein Wort der Entschuldigung erwarten, aber er bekam seine Zähne nicht einmal für ein konventionelles »auf Wiedersehen« auseinander. Der Italiener nickte verabschiedend und lächelte. Tom folgte Dickies langen, weißbehosten Beinen zur Tür hinaus.
Draußen sagte Tom: »Ich wollte bloß, daß du wenigstens siehst, es ist die Wahrheit. Ich hoffe, du hast es gesehen.«
»Schon gut, es ist wahr«, sagte Dickie lächelnd. »Was ist eigentlich in dich gefahren?«
»Was ist in dich gefahren?« fragte Tom.
»Der Mann ist ein Ganove. War es das, was du von mir hören wolltest? Bitte sehr.«
»Ist es denn nötig, daß du so verdammt erhaben tust? Hat er dir irgendwas getan?«
»Soll ich vielleicht vor ihm in die Knie sinken? Mir sind schon mehr Ganoven über den Weg gelaufen. Dies Dorf hier hat eine Menge davon zu bieten.« Dickies blonde Brauen zogen sich zusammen. »Was zum Teufel ist eigentlich mit dir los? Wolltest du etwa auf seinen irrsinnigen Plan eingehen? Sag!«
»Jetzt könnte ich es nicht mehr, selbst wenn ich wollte. Nachdem du dich so aufgeführt hast.«
Dickie blieb mitten auf der Straße stehen, die Augen auf Tom geheftet. Sie hatten laute Stimmen, ein paar Leute guckten herüber, beobachteten sie.
»Es hätte Spaß machen können«, sagte Tom, »allerdings nicht so, wie du die Sache anzupacken beliebst. Vor einem Monat, als wir nach Rom gefahren sind, da hättest du so etwas noch für Spaß gehalten.«
»O nein«, sagte Dickie und schüttelte den Kopf. »Kaum.«
Das Gefühl, ausgespielt zu haben, nicht verstanden zu werden, war qualvoll für Tom. Und das Gefühl, angegafft zu werden. Er zwang sich dazu, weiterzugehen, er machte kleine, verkrampfte Schrittchen, bis er sicher war, daß Dickie mitkam. Die Verblüffung, der Argwohn standen immer noch in Dickies Gesicht, und Tom wußte, Dickie war verblüfft über seine Reaktion. Gern hätte Tom es erklärt, so gern hätte er diese Mauer um Dickie durchstoßen, damit Dickie verstünde, damit sie beide wieder gleich empfanden, wieder eins waren. Vor einem Monat waren sie beide eins gewesen. »Es ist nur dein Benehmen«, sagte Tom. »Du hättest es nicht so zu machen brauchen. Der Bursche wollte dir gar nichts zuleide tun.«
»Er hat ausgesehen wie ein dreckiger Gauner!« erwiderte Dickie scharf. »In Gottes Namen, geh doch hin, wenn du ihn so gern hast. Du bist in keiner Weise verpflichtet, dasselbe zu tun wie ich!«
Jetzt blieb Tom stehen. Er spürte das Verlangen, sich umzudrehen und zu rennen, nicht unbedingt zurück zu dem Italiener, aber weg von Dickie. Dann zersprang irgend etwas in ihm. Seine Schultern fielen herab, sie schmerzten, er atmete in schnellen Stößen durch den Mund. Wenigstens eins wollte er sagen. »In Ordnung, Dickie«, damit Dickie versöhnt war, damit er es vergaß. Seine Zunge war wie festgenagelt. Er starrte in Dickies blaue Augen, die immer noch finster blickten, auf die sonnengebleichten, weißen Augenbrauen und auf die Augen selbst, glänzend und leer, nichts als kleine Kugeln aus hellblauem Gelee mit einem schwarzen Punkt darin, ausdruckslos, ohne jede Beziehung zu ihm. Man soll ja durch die Augen in die Seele schauen können, durch die Augen Liebe erblicken können, die Augen sollen das einzige Fleckchen am Körper des Mitmenschen sein, in das man hineinschauen, in denen man sehen kann, was innen wirklich vor sich geht, aber in Dickies Augen sah Tom jetzt nicht mehr als in der harten, blutlosen Oberfläche eines Spiegels. Tom fühlte einen schmerzhaften Riß in der Brust, und er verbarg sein Gesicht in den Händen. Es war, als wäre Dickie ihm plötzlich entrissen worden. Sie waren keine Freunde.
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