Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
er zum dritten- oder viertenmal in Gegenwart Vics zu ein paar Leuten gesagt hatte: »Ich kann mich nicht recht entscheiden, ob ich nun Männer oder Frauen mag, deshalb werde ich wohl allen beiden entsagen.« Damals hatte er sich angewöhnt, überall zu erzählen, er ginge zu einem Psychiater, denn jeder ging zu einem Psychiater, und er pflegte wildkomische Geschichten zu erfinden über diese Besuche beim Psychiater, ganze Gesellschaften unterhielt er damit, und auch die Geschichte von seiner Männer-und-Frauen-Entsagung war immer unfehlbar ein Lacherfolg gewesen, so wie er sie servierte, bis Vic ihm sagte, er solle um Himmels willen den Mund halten, von da an hatte er sie nie wieder gebracht und auch nie mehr seinen Psychiater erwähnt. Wenn man´s genau nahm, war ja wirklich sehr viel Wahres daran, dachte Tom. Wenn man sich all die Leute so ansah, dann war er doch einer der unschuldigsten und saubersten Menschen, die er je kennengelernt hatte. Das war die Ironie an dieser ganzen Sache mit Dickie.
»Ich habe das Gefühl, daß ich . . .«, fing Tom an, aber Dickie hörte gar nicht hin. Dickie wandte sich ab, einen grimmigen Zug um den Mund, und ging mit seinem Glas ans Ende der Terrasse. Tom näherte sich ihm, etwas ängstlich, er wußte nicht, ob Dickie ihn von der Terrasse jagen oder sich einfach umwenden und ihm sagen würde, er solle sich zum Teufel endlich aus dem Hause scheren. Sanft fragte Tom: »Liebst du Marge, Dickie?«
»Nein, aber sie tut mir leid. Ich bin besorgt um sie. Sie ist sehr nett zu mir gewesen. Wir haben schöne Stunden zusammen verlebt. Anscheinend bist du nicht imstande, das zu begreifen.«
»Ich kann es durchaus begreifen. Diesen Eindruck hatte ich von Anfang an bei euch beiden - daß es sich um eine rein platonische Angelegenheit handelt, was dich betrifft, und daß sie wahrscheinlich in dich verliebt ist.«
»So ist es. Man nimmt sich schließlich in acht, daß man nicht Menschen vor den Kopf stößt, die einen lieben, nicht wahr.«
»Natürlich.« Wieder zögerte er und mühte sich, seine Worte richtig zu wählen. Noch immer war er voll zitternder Angst, obwohl Dickie gar nicht mehr wütend auf ihn war. Dickie würde ihn nicht hinauswerfen. Tom sagte, und seine Stimme war wieder sicherer: »Ich kann mir vorstellen, daß ihr beide, wenn ihr in New York wärt, euch bei weitem nicht so oft gesehen hättet - oder überhaupt nicht . . . aber dieses Dorf hier, diese Einsamkeit . . .«
»Genau das. Ich habe nicht mit ihr geschlafen und beabsichtige das auch nicht, aber ich beabsichtige, mir ihre Freundschaft zu erhalten.«
»Ja, habe ich denn irgend etwas getan, das dich daran hinderte? Ich habe dir doch gesagt, Dickie, lieber würde ich gehen als irgend etwas zu tun, woran deine Freundschaft zu Marge zerbrechen könnte.«
Dickie streifte ihn mit einem Blick. »Nein, du hast nichts Besonderes getan, aber es ist offensichtlich, daß es dir nicht paßt, wenn sie da ist. Immer wenn du eine Anstrengung machst, ihr etwas Nettes zu sagen, dann ist es so deutlich eine Anstrengung.«
»Es tut mir leid«, sagte Tom zerknirscht. Es tat ihm leid, daß er sich nicht größere Mühe gegeben hatte, daß er schlechte Arbeit geleistet hatte, wo er leicht hätte gute leisten können.
»Ach, lassen wir das. Es ist alles geregelt zwischen Marge und mir«, sagte Dickie bockig. Er wandte sich ab und starrte auf das Meer hinaus.
Tom ging in die Küche, um sich einen kleinen Kaffee aufzugießen. Er wollte dafür nicht die Espressomaschine benutzen, weil Dickie da sehr eigen war und es gar nicht gern hatte, wenn jemand anders damit hantierte. Tom wollte sich den Kaffee mit hinaufnehmen in sein Zimmer und noch ein bißchen Italienisch üben, bis Fausto kam, überlegte er. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit Dickie auszusöhnen. Dickie hatte seinen Stolz. Jetzt würde er sich den ganzen Nachmittag über in Schweigen hüllen, und dann würde er ankommen, um fünf vielleicht, wenn er ein Weilchen gemalt hatte, und es wäre alles wieder so, als hätte es den Zwischenfall mit den Kleidern nie gegeben. Von einem war Tom überzeugt: Dickie war froh, daß er da war. Dickie hatte es satt, allein zu leben, und er hatte es auch satt mit Marge. Tom besaß immer noch dreihundert Dollar von dem Geld, das Mr. Greenleaf ihm gegeben hatte, die würden er und Dickie bei einem Bummel durch Paris verjubeln. Ohne Marge. Dickie war höchst überrascht gewesen, als Tom erzählte, daß er von Paris nicht mehr mitbekommen
Weitere Kostenlose Bücher