Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
von Mr. Greenleaf und faltete respektvoll den Bogen mit der Maschinenschrift auseinander: der eindrucksvolle, blaßgrüne Briefkopf der Burke-Greenleaf-Schiffs-AG, in der Mitte ein Schaufelrad, das Firmenzeichen.
10. November
»Mein lieber Tom,
in Anbetracht der Tatsache, daß Sie nun mehr als einen Monat bei Dickie sind und daß er genausowenig Bereitschaft zur Heimkehr erkennen läßt wie vor Ihrem Besuch, kann ich nur zu dem Schluß kommen, daß Sie keinen Erfolg gehabt haben. Ich erkenne an, daß Sie in bester Absicht berichtet haben, er erwäge die Heimkehr, aber ehrlich gesagt finde ich davon nichts in seinem Brief vom 26. Oktober. Im Gegenteil scheint er fester entschlossen denn je, zu bleiben, wo er ist.
Seien Sie versichert, daß ich und meine Frau es zu schätzen wissen, welche Mühen Sie sich für uns und für ihn gemacht haben. Sie brauchen sich mir jetzt in keiner Weise mehr verpflichtet zu fühlen. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu große Unannehmlichkeiten gehabt durch Ihre Bemühungen in den vergangenen Monaten, und es würde mich sehr freuen, wenn Ihnen die Reise auch ein wenig Freude gemacht hätte, wenn auch ihr eigentlicher Zweck verfehlt wurde.
Meine Frau und ich senden Ihnen beste Grüße und unseren Dank.
Ihr H. R. Greenleaf«
Das war der Todesstreich. Dieser kühle Ton . . . er war noch kühler als der gewohnte kühl-geschäftsmäßige Ton Mr. Greenleafs, denn das war die Entlassung, ein höfliches Dankeswort noch und . . . Mr. Greenleaf ließ ihn einfach fallen. Er hatte versagt. »Ich hoffe, Sie haben nicht allzu große Unannehmlichkeiten gehabt . . .« Wenn das nicht Sarkasmus war . . . Und nicht ein Wort Mr. Greenleafs darüber, daß er Tom später in Amerika gern noch einmal sehen würde.
Mechanisch ging Tom bergan. Er konnte sich vorstellen, wie Dickie jetzt bei Marge saß und ihr die Geschichte erzählte von Carlo in der Bar und von dem seltsamen Benehmen Toms hinterher auf der Straße. Und Tom wußte auch, was Marge sagen würde: »Warum schaffst du ihn dir denn nicht vom Halse, Dickie?« Sollte er hingehen, ihnen erklären, sie zwingen, ihn anzuhören? Tom wandte sich zurück und schaute hinauf zu dem schweigenden Viereck der Fassade, dem leeren, dunklen Fenster von Marges Haus. Seine Baumwolljacke war regennaß. Er stellte den Kragen hoch. Dann ging er mit raschen Schritten weiter bergan, hinauf zu Dickies Haus. Das eine wenigstens, dachte er voller Stolz, hatte er nicht versucht: aus Mr. Greenleaf noch mehr Geld herauszuholen, und er hätte es gekonnt. Er hätte es sogar zusammen mit Dickie machen können, wenn er Dickie in einer gutgelaunten Stunde darauf angesprochen hätte. Jeder andere hätte es gemacht, dachte Tom, jeder, er aber hatte es nicht gemacht, und das hat doch wohl ein bißchen was zu bedeuten.
Er stand am Rande der Terrasse, starrte hinaus auf den weiten, leeren Horizont, er dachte an gar nichts, empfand gar nichts, nur eine matte, traumähnliche Verlorenheit und Vereinsamung. Auch Dickie und Marge schienen ihm weit weg, und was sie besprechen mochten, schien unwesentlich. Er war allein. Das war das einzig Wesentliche. Er spürte auf einmal prickelnde Angst am Ende seines Rückgrats, prickelnd kroch die Angst an ihm hinunter.
Er drehte sich um, als er das Tor klappen hörte. Dickie kam den Weg herauf, er lächelte, aber Tom schien das Lächeln gezwungen, höflich.
»Was soll das, warum stehst du da im Regen herum?« fragte Dickie und duckte sich in die Tür.
»Es ist sehr erfrischend«, sagte Tom freundlich. »Hier ist ein Brief für dich.« Er reichte Dickie den Brief und stopfte den von Mr. Greenleaf in seine Tasche.
Tom hängte seine Jacke in den Schrank auf der Diele. Als Dickie seinen Brief zu Ende gelesen hatte - einen Brief, der ihn beim Lesen laut auflachen ließ -, sagte Tom: »Meinst du, daß Marge gern mitkommen würde nach Paris, wenn wir fahren?«
Dickie sah ihn überrascht an. »Das ist anzunehmen.«
»Gut, dann lade sie ein«, sagte Tom munter.
»Ich weiß nicht recht, ob ich jetzt nach Paris fahren sollte«, sagte Dickie. »Ich hätte nichts dagegen, für ein paar Tage irgendwohin zu fahren, aber Paris . . .« Er zündete sich eine Zigarette an. »Eher würde ich mal ´rauffahren nach San Remo oder etwa Genua. Das ist eine Stadt.«
»Aber Paris . . . Genua ist nicht mit Paris zu vergleichen, oder?«
»Nein, das natürlich nicht, aber dafür ist es näher.«
»Aber wann kommen wir denn mal nach Paris?«
»Ach, ich weiß nicht.
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