Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
halben Tag lang an einem Strand herumsielte und überlegte, was man zum Abendbrot essen könnte. Aber er war froh, daß sie gerade dann, wenn er mit Dickie nach San Remo fahren wollte, in einer Strähne war.
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du versuchen würdest, dieses Kölnisch Wasser aufzutreiben, Dickie«, sagte sie. »Du weißt doch, das Stradivari, das ich in Neapel nicht finden konnte. In San Remo muß es das geben, sie haben da so viele Läden mit französischem Zeug.«
Tom sah sich und Dickie schon einen halben Tag lang in San Remo herumlaufen und Stradivari-Wasser suchen, genauso wie sie es eines Sonnabends stundenlang in Neapel gesucht hatten.
Sie nahmen zu zweit nur einen Koffer von Dickie, denn sie wollten nur drei Nächte und vier Tage wegbleiben. Dickie war ein bißchen aufgekratzter, aber noch immer war da diese scheußliche Endgültigkeit, das Gefühl, daß dies die letzte Reise war, die sie zusammen unternahmen. Tom empfand Dickies höfliche Munterkeit im Zuge ungefähr wie die Munterkeit eines Gastgebers, der seinen Gast satt hat und fürchtet, der Gast könnte es bemerken, und der sich in letzter Minute abmüht, es zu vertuschen. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte Tom sich als unwillkommener, auf die Nerven gehender Gast gefühlt. Im Zug erzählte Dickie ihm von San Remo und von der Woche, die er zusammen mit Freddie Miles dort verbracht hatte, damals bei seiner Ankunft in Italien. San Remo sei ein winziges Städtchen, aber es habe einen großen Ruf als internationales Einkaufszentrum, sagte Dickie, viele kämen auch aus Frankreich herüber, um dort ihre Einkäufe zu erledigen. Tom kam der Gedanke, Dickie wollte ihm vielleicht die Stadt recht schmackhaft machen, um ihn dann zu überreden, dort zu bleiben, allein, und nicht mehr mit Dickie zurückzufahren nach Mongibello. Tom spürte wachsenden Widerwillen gegen die Stadt, noch ehe sie angelangt waren.
Und dann, der Zug rollte schon beinahe in den Bahnhof von San Remo ein, sagte Dickie: »Übrigens, Tom . . . es ist mir äußerst unangenehm, dir das zu sagen, wenn es dir sehr viel ausmachen sollte - aber es wäre mir wirklich lieber, allein mit Marge nach Cortina d´Ampezzo zu fahren. Ich glaube, ihr wäre es lieber. Und schließlich bin ich ihr etwas schuldig, einen schönen Urlaub zumindest. Du bist anscheinend kein übermäßig begeisterter Skiläufer.«
Tom erstarrte zu Eis, aber er bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Das einfach Marge in die Schuhe zu schieben! »In Ordnung«, sagte er, »selbstverständlich.« Nervös starrte er auf die Landkarte in seiner Hand, verzweifelt suchte er rings um San Remo nach irgendeinem anderen Ort, den sie besuchen könnten, während Dickie bereits ihren Koffer aus dem Gepäcknetz schwang. »Wir sind nicht weit von Nizza entfernt, nicht?« fragte Tom.
»Nein.«
»Und von Cannes. Cannes hätte ich gern gesehen, wenn ich schon einmal so weit bin. Cannes ist wenigstens schon mal Frankreich«, fügte er mit leicht vorwurfsvollem Unterton hinzu.
»Gut, können wir machen. Du hast doch deinen Paß bei dir?«
Tom hatte seinen Paß bei sich. Sie bestiegen einen Zug nach Cannes, und am Abend gegen elf Uhr waren sie dort.
Tom fand es herrlich - den langgestreckten Bogen des Hafenbeckens, den kleine Lichter bis in die langen, dünnen Spitzen eines Halbmondes auszogen, die elegante, tropisch anmutende Promenade am Meer mit ihren Palmen und ihren exklusiven Hotels. Frankreich! Es war erwachsener als Italien und schicker, er spürte es sogar im Dunkeln. Sie gingen in ein Hotel auf der ersten Nebenstraße, das »Gray d´Albion«, es war elegant genug, kostete sie aber nicht das letzte Hemd, wie Dickie sagte, Tom allerdings hätte mit Freuden im besten Hotel an der Promenade jeden Preis bezahlt. Sie ließen ihren Koffer im Hotel und gingen in die Bar des Hotels »Carlton«, die eleganteste Bar in ganz Cannes, sagte Dickie. Wie er prophezeit hatte, waren nur wenig Gäste in der Bar, weil zu dieser Jahreszeit nur sehr wenige Leute in Cannes waren. Tom schlug eine zweite Runde vor, aber Dickie lehnte ab.
Am nächsten Morgen frühstückten sie in einem Café, dann schlenderten sie an den Strand. Ihre Badehosen hatten sie untergezogen. Es war ein kühler Tag, aber nicht unbedingt zu kühl zum Baden. In Mongibello hatten sie schon an kälteren Tagen gebadet. Der Strand war praktisch leer - einige vereinzelte Paare, eine Gruppe von Männern, die oben am Kai irgendein Spiel spielten. Mit winterlicher Wucht
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