Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
indisponiert im Hotel läge.
Den Abend brachte er damit zu, Dickies Unterschrift zu üben für die Schecks. Dickies Monatswechsel dürfte in weniger als zehn Tagen aus Amerika eingehen.
14
Am nächsten Tag zog er um ins Hotel »Europa«, ein Hotel mittlerer Preislage nahe der Via Veneto, denn das »Haßler« war ein Nepplokal, dachte er, das Genre von Hotel, das von durchreisenden Filmleuten bevorzugt wurde und wo Freddie Miles und ähnliche Leute, die Dickie kannten, möglicherweise abstiegen, wenn sie nach Rom kamen.
Tom führte in seinem Hotelzimmer Phantasiegespräche mit Marge und Fausto und Freddie. Marge war noch am ehesten in Rom zu erwarten, dachte Tom. Er sprach mit ihr als Dickie, wenn er sich ein Telephongespräch vorstellte, und als Tom, wenn er sie in Gedanken vor sich sah. Sie konnte ja zum Beispiel nach Rom kommen, sein Hotel ausfindig machen und darauf bestehen, auf sein Zimmer zu kommen, in einem solchen Fall müßte er Dickies Ringe absetzen und sich umziehen.
»Ich weiß nicht«, würde er mit Toms Stimme zu ihr sagen. »Sie wissen ja, wie er ist - er fühlt sich gern völlig frei von allem. Er hat gesagt, ich könnte für ein paar Tage sein Hotelzimmer haben, weil meins so schlecht geheizt ist . . . Oh, er wird in ein paar Tagen wieder da sein, oder es kommt eine Postkarte von ihm mit der Nachricht, daß es ihm gut geht. Er ist mit di Massimo in irgendeine Kleinstadt gefahren, sie wollen sich in einer Kirche ein paar Gemälde anschauen.«
(»Aber Sie wissen nicht, ob sie nach Norden oder Süden gefahren sind?«)
»Nein, wirklich nicht. Ich denke, nach Süden. Aber was nützt uns das schon?«
(»Es ist einfach Pech, daß ich ihn nicht antreffe, nicht? Warum konnte er denn nicht wenigstens hinterlassen, wo er hinfährt?«)
»Ja, ich weiß, dasselbe habe ich ihn auch gefragt. Ich habe das ganze Zimmer nach einer Landkarte oder so was abgesucht, aus der man hätte schließen können, wohin er fährt. Er hat mich einfach vor drei Tagen angerufen und mir gesagt, ich könnte sein Zimmer benutzen, wenn ich wollte.«
Es war eine gute Idee, dieses Hineinspringen in sein eigenes Ich zu üben, denn es konnte die Zeit kommen, wo er es innerhalb von Sekunden tun mußte, und merkwürdig, wie schnell man vergessen konnte, wie die Stimme Tom Ripleys eigentlich klang. Er unterhielt sich mit Marge, bis ihm seine Stimme wieder genauso in den Ohren klang, wie er sie in Erinnerung hatte.
Meistens aber war er Dickie, redete leise mit Freddie und Marge, führte Ferngespräche mit Dickies Mutter, sprach mit Fausto, mit einem Fremden auf einem Gesellschaftsabend, unterhielt sich auf englisch und auf italienisch, dabei ließ er Dickies Kofferradio spielen, denn wenn ein Hotelangestellter zufällig auf dem Gang vorbeilief und wußte, daß Signor Greenleaf allein in seinem Zimmer war, sollte er ihn nicht für einen Irren halten. Manchmal, wenn im Radio eine Melodie erklang, die er mochte, dann tanzte er auch ganz allein für sich, aber er tanzte so, wie Dickie mit einem Mädchen tanzen würde - er hatte Dickie einmal auf der Terrasse des »Giorgio« mit Marge tanzen sehen, und ein zweites Mal noch im »Giardino degli Orangi« in Neapel -, mit langen Schritten, jedoch ziemlich steif, man konnte ihn nicht eigentlich einen guten Tänzer nennen. Tom kostete jede Minute voll aus, ob er allein in seinem Zimmer war oder durch die Straßen Roms spazierte, die Besichtigungen kombinierend mit der Suche nach einer Wohnung. Es war unmöglich, sich jemals einsam zu fühlen oder zu langweilen, solange man Dickie Greenleaf war.
Im American Expreß begrüßten sie ihn als Signor Greenleaf, als er nach seiner Post fragte. Marges erster Brief lautete:
»Dickie,
nun ja, es war eine kleine Überraschung. Ich möchte wissen, was in Dich gefahren ist in Rom oder San Remo oder wo immer? Tom tat sehr geheimnisvoll, nur das eine hat er gesagt, daß er in Rom bei Dir wohnen würde. Daß er nach Amerika abdampft, glaube ich erst, wenn ich es sehe. Auf die Gefahr hin, mir den Mund zu verbrennen, alter Junge, darf ich vielleicht doch sagen, daß ich den Kerl nicht leiden kann. Wie ich die Sache sehe, und jeder sieht sie so, nutzt er Dich doch nur nach Strich und Faden aus. Wenn Du zu Deinem eigenen Besten etwas ändern möchtest, dann gib um Himmels willen ihm den Laufpaß. Gut, meinetwegen ist er nicht andersrum. Er ist einfach gar nichts, und das ist noch schlimmer. Er ist nicht normal genug, um überhaupt ein Liebesleben zu haben, wenn
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