Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Sie noch leben«, sagte Holland.
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber ist es nicht ein bisschen früh …«
»Sie haben wieder einen Toten gefunden. Es ist noch niemand bei der Leiche.«
Es roch nach Pisse und Zucker, nach Essig und Dreck. Thorne sah den Gang hinauf und hinunter. Vergewisserte sich, dass sich in keinem der Kartons etwas bewegte. Ob der Tote wohl Ryan Eales war? Und der Mörder damit sein Quartett voll hatte?
»Sir …?«
»Ich höre«, flüsterte Thorne.
»Ein Obdachloser, anscheinend dieselbe Vorgehensweise. In einem Theatereingang hinter dem Piccadilly Circus. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
Thorne verstand sehr wohl.
»Wollte ihn natürlich nur für dich warm halten.«
Sein Kopf war jetzt klar, aber der Rest war plötzlich bleiern. Ihm wurde heiß und schwummrig …
Ein erleichtertes Bellen, bevor Holland weitersprach. »Ich wollte nur sichergehen. Ich dachte, das könnten Sie sein …«
Thorne lehnte sich gegen die Wand und atmete schwer. Er starrte auf abgenagte Hühnerknochen und einen widerlichen Batzen Rotz.
Ihm war speiübel.
Dritter Teil
Das Glück des Tüchtigen
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Holland und Stone standen auf dem Bahnsteig in Stockport und warteten auf den Anschluss nach Salford. Beide hatten die Hände tief in die Taschen gegraben und schauten die Gleise entlang in der Hoffnung, den Zug kommen zu sehen. Der Regen fiel dicht und schwer, gepeitscht vom Wind.
»So ein Sauwetter«, beschwerte sich Stone. »Ich bin immer noch durchnässt von gestern Abend …«
Holland nickte. Es hatte wie aus Kübeln geschüttet, als sie sich am Tatort getroffen und darauf gewartet hatten, dass die Sonne durchkam. Der Regen spritzte von den Bogenlampen, und einzig der zusammengerollte Tote, der im Eingang starr zu werden begann, blieb trocken. Wie bei den anderen Opfern war nicht viel übrig von Terence Turners Gesicht. Ein Freund hatte ihn schließlich anhand der Kette und des Vorhängeschlosses um seinen Hals identifiziert. Später war dieses von einem Angestellten der Pathologie mithilfe einer Bügelsäge entfernt worden, kurz bevor Phil Hendricks mit seiner Arbeit begann, wobei auch dieser zu schnipseln hatte …
»Ich schau mal, ob ich irgendwo einen Kaffee auftreibe«, sagte Stone. »Möchtest du auch einen?«
Holland nahm das Angebot gerne an, und Stone lief zur Bahnhofshalle auf der Suche nach der dritten Tasse Kaffee heute. Der Tote war vor weniger als vierundzwanzig Stunden aufgefunden worden, und Holland hatte höchstens drei Stunden geschlafen.
Allgemein galt die Regel, die ersten vierundzwanzig Stunden seien »golden«. Das hieß, in dieser Zeit war die Chance am größten, eine ordentliche Spur zu finden. Soweit Holland informiert war, hatten sie bis jetzt noch nichts, und es hätte ihn überrascht, falls sich daran was ändern sollte. Es war nicht immer nur der Mörder, der ihnen zu schaffen machte. Sorgfalt und Umsicht fielen schnell unter den Tisch, wenn es eilte. Und ein Adrenalinschub kam häufig gegen die Müdigkeit und den Papierkrieg nicht an.
Nachdem sie am Tatort fertig waren, hatte ein DS vom Intelligence Team in der Polizeiwache Charing Cross eine erste Einsatzbesprechung durchgeführt. Jeder anwesende Beamte hatte seine Notizen durchgesehen und eine Stellungnahme abgegeben. Diese musste anschließend abgeglichen und dem Bericht des Dienst habenden Beamten hinzugefügt werden. Später wurde dieser Bericht von dem DCI fertig gestellt. Eine Vorgehensweise, die als Folge des Lawrence-Reports eingeführt worden war. Die schlampige Ermittlung in dem Mordfall Stephen Lawrence, ein schwarzer Jugendlicher, der von weißen Jungen an einer Bushaltestelle totgeprügelt worden war, hatte die rassistischen Tendenzen der Polizei offen gelegt und Gegenmaßnahmen nötig gemacht. Es gab die, die sich davon weniger Fehler erhofften. Und andere, darunter Tom Thorne, die skeptischer waren. Sie fanden, es ginge dabei weniger darum, das Richtige zu tun, als sich dabei sehen zu lassen.
Thorne …
Das war es, was zumindest für einige von ihnen diesen letzten Mordfall auf eine so beunruhigende Weise bedeutsam machte. Und ihn so unter die Haut gehen ließ. Wer im Team von Thornes Rolle in der Ermittlung wusste, kam zu einer nahe liegenden und beklemmenden Schlussfolgerung. Holland, Brigstocke und Hendricks hatten die totgeprügelte Leiche in dem Eingang angestarrt, hatten zugesehen, wie sie in den Leichensack gesteckt und in den Wagen geladen wurde. Ihre Blicke
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