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Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes

Titel: Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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darauf ein. Ihm war nur klar, warum sie so dringend brauchte, was die Spritze ihr bot.
    Wieder versuchte sie, die Nadel in die richtige Position zu bringen, aber es war schwierig. Sie war Rechtshänderin, und die Vene, in die sie stechen wollte, befand sich oberhalb ihres linken Knöchels. Schweißnass sah sie zu Thorne auf. »Könntest du mir helfen?«
    »Ich stell mich ein bisschen blöd an mit Spritzen …«
    »Was …?«
    Thorne war klar gewesen, dass er in solche Situationen geraten würde. Er hatte sich nicht als Undercoveragent gemeldet, weil er glaubte, dass es einfach würde. Dass er nicht gezwungen wäre, harte Entscheidungen zu treffen. Ein, zwei Sekunden, mehr brauchte er nicht, und ihm war klar, dass das hier, was Entscheidungen betraf, eine der einfacheren war.
    Das war das Mindeste, was er tun konnte …
    Er spürte eine Veränderung – in ihm selbst wie in Caroline –, als er die Droge in sie hineinjagte. Er drehte sich um, als es vorbei war, damit er neben ihr an der Mauer saß. Er ließ zu, dass sie den Kopf auf seine Schulter legte. »Diese Geldsache geht mir nicht aus dem Kopf«, sagte er. »Ich verstehe, dass Spike nicht fragen mag, aber könnte euch nicht seine Schwester helfen? Nur eine Starthilfe …«
    »Schwester …«
    »Ich weiß, er ist in der Beziehung ein bisschen komisch. Aber es hört sich an, als möchte sie ihm helfen.«
    Die Worte begannen, aus ihr zu fließen, klatschten ohne Betonung, ohne Rhythmus in fetten Tropfen zu Boden. »Seine Schwester ist tot. Ist schon ewig lange gestorben. Als er noch zu Hause gelebt hat …«
    »Caroline …?«
    Es dauerte vielleicht eine halbe Minute, bevor sie weitersprach. »Als er noch zu Hause war, hat sein Vater sie nicht in Ruhe gelassen, verstehst du? Beide nicht. Hat ihn und seine Schwester verprügelt, er hat das nicht ertragen und ist abgehauen.
    Einfach abgehauen …
    Er war älter als sie, verstehst du? Ein paar Jahre. Älter. Also hat er sie zurückgelassen. Und später dann … ein halbes Jahr oder so, musst ihn selber fragen, da hat sie eine Ladung Tabletten eingeschmissen. Als wären es Smarties …
    Spike war … verstehst du? Er war total fertig. Auf der Beerdigung gab es eine üble Szene … Das war das letzte Mal, dass er jemanden aus seiner Familie gesehen hat. Das war’s dann.«
    »Aber er weiß, dass es nicht seine Schuld ist?«, fragte Thorne.
    »Als wären es Smarties …«
    In einem der Nachbartunnel sang jemand. Thorne strich Caroline über die Haare. »Es tut ja niemandem weh, wenn Spike so tut …«
    Caroline stöhnte.
    »Das macht doch irgendwie jeder«, fuhr Thorne fort. »Schwer, wenn man jemanden verliert. Alle quatschen auf einen ein, man soll loslassen, als wär das das einzig Richtige. Als bräuchten wir keinen Trost. Wir halten unsere Toten doch alle irgendwo am Leben …«
    Doch sie konnte ihn nicht mehr hören.
     
    Irgendwann in der Nacht wachte Thorne auf. Etwas hatte ihn geweckt. Er befingerte den Karton links und rechts von ihm. Er schwitzte und stank in seinem Schlafsack.
    Ein, zwei Meter entfernt hörte er Spike und Caroline miteinander schlafen. Ihre Geräusche, ihr Stöhnen und ihre Bewegungen in dem Karton hatten etwas Drängendes, etwas Verzweifeltes. Seine Hand wanderte nach unten, blieb aber nicht lange dort. Was er hörte, rührte ihn eher, als dass es ihn erregte. Es lag etwas Friedliches in ihrer Leidenschaft, in dem einfachen Bedürfnis, dem anderen eine Freude zu bereiten.
    Schließlich schlief Thorne wieder ein. Der beruhigende Rhythmus und der Trost, dass ein Bedürfnis befriedigt wurde, taten das ihre. Und die nackte Ehrlichkeit dieses menschlichen Zusammenseins, dieses Liebesakts auf einem Pappkarton.
     
    Am nächsten Morgen erwachte Thorne durch die Vibration des Handys in der Manteltasche. Er griff danach, bekam es jedoch zu spät zu fassen. Im Schein des leuchtenden Displays war der Schmutz auf seinem Handrücken deutlich zu sehen. Es war 6 Uhr 18, und Holland hatte angerufen …
    Er rief kurze Zeit später erneut an.
    Thorne schob sich aus dem Karton und entfernte sich ein paar Schritte von Spike und Caroline, die noch immer schliefen. Er hockte sich auf den Boden und nahm den Anruf flüsternd entgegen.
    »Dave?«
    »Mann, danke …«
    Eine kurze Pause entstand, und Thorne wartete darauf, dass sein Kopf etwas klarer wurde. Eine Plastiktüte flatterte den Tunnel entlang, und ihn fröstelte, als er die eisige Zugluft auf seiner klammen Haut spürte.
    »Ich wollte nur sichergehen, dass

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