Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
sein und jede zu drastische Darstellung abzulehnen. Die Empfindlichkeiten ihrer Zuschauer hatten für sie Vorrang. Mord war akzeptabel, aber nur, wenn er nicht zu grausam war.
Einen Fall in eine solche Sendung zu lancieren war ihre letzte Zuflucht, dennoch standen die meisten Oberen dahinter. Im Fernsehen reagierten die Menschen auf die Bitte um Mithilfe mehr oder weniger genauso wie in einer Quizshow – sie riefen sofort an. Die Antworten waren vielleicht nicht immer richtig, aber die Reaktion war immens.
»Also, wie sieht’s aus?«
»Das ist fantastisch, Steve«, sagte Brigstocke. »Danke.« Die Plattitüde hatte in seinem Kopf gedröhnt wie ein Bohrer beim Zahnarzt.
»Nur ein schnelles Update, ja? Vielleicht in der Schlusssequenz bei »dringend gesucht«.«
»Mehr brauchen wir nicht.«
»Wir bringen das Foto von Eales so lange wie möglich und warten darauf, dass die Telefone heiß laufen.«
»Hoffentlich …«
»Komm schon, selbst wenn nichts Konkretes dabei rauskommt, bringt es doch auch schon was, dass alle Welt sieht, dass man etwas tut, richtig?«
An dieser Stelle hätte Brigstocke am liebsten aufgelegt. Um sich den Mund zu spülen und auszuspucken. »Ich zieh besser los und rede mit dem Superintendent«, sagte er. »Müssen uns wahrscheinlich zusammensetzen …«
»Sie haben doch keinen Dreck am Stecken?«, fragte Norman.
Anschließend sprach Brigstocke mit Trevor Jesmond über Ton und Botschaft der Nachricht sowie über ihr Budget. Nun trat er in die Einsatzzentrale und bat um Aufmerksamkeit. Nach dem Fernsehaufruf war mit einer Menge Anrufe zu rechnen. Darunter war sicher der eine oder andere Irre, der sich aus dem Unterholz wagte, aber jeder einzelne Anruf musste entgegengenommen und die Information notiert werden, als handle es sich dabei um das Wort Gottes. Und jedem Hinweis, und wenn er noch so fragwürdig schien, musste nachgegangen werden.
»Die übliche Kombi aus einer guten und einer schlechten Nachricht«, erklärte er. »Die meisten von euch können ihr Wochenende vergessen. Angeln, Fußball, Füßehochlegen oder einen Ausflug in den Baumarkt mit der Ehefrau. Gestrichen …«
Jemand fragte: »Ist das die gute oder die schlechte Nachricht?«
Brigstocke erhob die Stimme, um das Gelächter zu übertönen. »Aber die Überstunden werden bezahlt …«
Thorne fühlte sich wohler und sicherer – nicht nur selbstsicherer –, wenn der Verkehrslärm zunahm. Wenn er wieder ins Menschengewühl eintauchen und Abgase riechen konnte. Jetzt ließ er das unheimliche Gewirr des Barbican hinter sich und lief die Straße hinauf, die früher einmal die Grub Street gewesen war. Dabei dachte er über das Gespräch mit dem Mann nach, dessen Name inzwischen als Synonym für die schlimmsten Auswüchse seines Berufsstandes galt.
Natürlich hatte ihn die Erkenntnis nicht wie ein Blitz getroffen. Nichts, was den Puls schneller schlagen ließe. Aber es gab genug zum Nachdenken. Thorne hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, dass der Mann hinter der Kamera ein Offizier gewesen sein könnte. Eine Theorie, für die einiges sprach. Dennoch war es interessant, sie aus Wards Mund zu hören. Sie von jemandem bestätigt zu bekommen, der selbst dort gewesen war. In einem Challenger-Panzer war kein Platz für einen fünften Mann. Dieser musste also mit einem eigenen Antrieb dorthin gelangt sein. Wenn Brigstocke mehr aus der Army raus bekam, lohnte es sich vielleicht, danach zu fragen, welche Ränge damals routinemäßig Zugang zu Fahrzeugen hatten.
Und da war noch etwas, das den DCI interessieren dürfte: » Es gab ein paar Gerüchte über was in der Richtung …«
Wenn Gerüchte über Gräueltaten damals die Presse erreicht hatten, dann durfte man davon ausgehen, dass auch die Army davon gehört hatte. Thorne war sich ziemlich sicher, dass man sich dort auch fünfzehn Jahre später noch daran erinnern würde. Wenn die Army auch nur einen Bruchteil von dem wüsste, was sich am 26. Februar 1991 zugetragen hatte, würde das den Anruf vom Special Investigations Branch der Royal Military Police erklären.
Er freute sich schon darauf, Russell Brigstocke zu beweisen, dass er nicht komplett unter Verfolgungswahn litt …
Das Licht vor ihm auf dem Bürgersteig änderte sich, und Thorne blickte auf zum Himmel. Es wurde schnell dunkel. Ein zerklüfteter Wolkenfinger hinter einem verglasten Hochhaus in der Farringdon Road wies ihm den Weg, und er folgte ihm zurück ins West End.
Achtundzwanzigstes Kapitel
»Schön,
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