Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
wen es sich angeblich handelte. »Er sieht aus wie viele«, sagte er. »Er sieht aus wie ein schlechter Schauspieler, der einen Gangster im Urlaub spielt.«
»Was haben Sie ihr gesagt?«
»Dass sie ihre Zeit verschwendet und dass wir es uns nicht leisten können, unsere Zeit zu verschwenden.«
»Stimmt genau«, erwiderte Brigstocke. »Nicht, wenn wir die neuesten ›Police Performance Assessment‹-Richtlinien lesen und bis heute Abend einen zwölfseitigen Bericht über standardisierte Arbeitsabläufe fertigstellen müssen.«
Thorne lachte und spürte, wie das das Kältegefühl linderte.
Sie unterhielten sich ein paar Minuten lang über Fußball, dann über Privates. Thorne erkundigte sich nach Brigstockes drei Kindern. Der Detective Chief Inspector fragte Thorne, wie, in aller Welt, seine Freundin es verkrafte, bei der Kidnapping-Einheit zu arbeiten und sich gleichzeitig mit jemandem die Wohnung zu teilen, der Tottenham-Spurs-Fan war und Countrymusic hörte.
»Wie wird sie nur tagein, tagaus mit all dem Schmerz und Stress fertig?«, fragte Brigstocke.
Thorne schüttelte den Kopf und wartete auf die Pointe.
»Und die Entführungen sind bestimmt noch schlimmer …«
Sie plauderten und scherzten. Nahmen sich auf den Arm und redeten Blödsinn. Schlugen Zeit tot und taten so, als verschwendeten sie keinen Gedanken an die zwölf Fremden, die in einem Raum am anderen Ende der Stadt diskutierten.
Viertes Kapitel
Anna schlang ihr Abendessen hinunter.
Es war immer ziemlich komisch, wenn sie mit Megan und Megans neuestem Freund allein war – in diesem Fall der zugegebenermaßen hinreißende, aber augenscheinlich hirntote Daniel –, und es half nicht, dass diesmal Megan gekocht hatte. Annas Mitbewohnerin brachte eigentlich nur Pasta halbwegs zustande und verwendete gewöhnlich das als Zutaten, was gerade im Kühlschrank herumlag. Ihre neueste Kreation enthielt Karotten, Erbsen aus der Dose und hart gekochte Eier, und Daniel dabei zuzusehen, wie er alles mit einer braunen Soße übergoss, war für Annas Appetit nicht gerade förderlich. Ein halber Teller genügte ihr letztendlich, um satt zu werden.
Trotzdem schmeckte es besser als Sushi …
Nach zehn Minuten Small Talk, bei dem niemand fragte, wie ihr Tag gewesen sei, und weiteren zehn Minuten, in denen Anna immer gereizter wurde, als Daniel es sich auf dem Sofa bequem machte, rauchte und sich vor dem Abwasch drückte, ging sie nach oben in ihr Zimmer, legte sich aufs Bett und sah fern. Sie zappte sich durch die Lokalnachrichten, eine Quizshow, aus der sie sich überhaupt keinen Reim machen konnte, und das sinnlose Remake einer Sitcom, die bereits in der Originalfassung sinnlos gewesen war.
Vermutlich war das ein Anzeichen dafür, dass man alt wurde, dachte Anna: Wenn im Fernsehen ein Remake von etwas lief, mit dem man aufgewachsen war. Es musste ein schlechtes Zeichen sein. Objektiv betrachtet ließ es ihre momentane Situation für Außenstehende – wie zum Beispiel für ihre Eltern – noch trauriger erscheinen.
Für ein Butterbrot zu arbeiten und wie ein Student zu leben.
Das Haus war nur ein paar Gehminuten vom Büro entfernt, was Anna neben der unterdurchschnittlichen Miete darüber hinwegtröstete, dass sie die Gegend hasste. Es half ihr dabei, zumindest manchmal zu vergessen, dass sie mit ihrer neunzehnjährigen Mitbewohnerin nichts gemein hatte und dass sie viel schöner gewohnt hatte, als sie tatsächlich noch Studentin gewesen war.
Damals waren ihre Eltern natürlich gerne bereit gewesen, ein bisschen etwas beizusteuern und ihr bei der Renovierung zu helfen. Sie waren unangekündigt aufgetaucht und hatten strahlend vor der Tür gestanden, mit dem Radio, das sie sich zu Hause immer ausgeliehen hatte, und einer brandneuen Mikrowelle. Außerdem hatten sie ihr witzige Briefe und Esspakete geschickt. Später hatte sich jedoch alles geändert.
»Was, zum Teufel, hast du dir denn dabei gedacht?«
Ihr Vater verlor nicht oft die Beherrschung, und ihn so fassungslos, so aufrichtig bestürzt zu sehen, als Anna verkündete, dass sie ihren Job bei der Bank gekündigt habe, war äußerst verstörend gewesen. Sie schämte sich schon beim Gedanken daran, brach in kalten Schweiß aus und war den Tränen genauso nahe wie damals, als sie es ihm erzählt hatte.
»Was sollen wir denn davon halten, deine Mum und ich?«
Als Anna damit begonnen hatte, ihre Entscheidung kundzutun, hatte sich ihre Mutter langsam von ihrem Stuhl erhoben, ohne irgendetwas zu erwidern.
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