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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Robin van Persie. Ich machte Mirjam darauf aufmerksam, die betrübt nickte. Ohne darüber sprechen zu müssen, sahen wir beide den sechsjährigen Robin vor uns, wie er, an die Mauer des Schulhauses in Marsalès gelehnt, mürrisch zugeschaut hatte, wie seine beiden Schwestern dem einjährigen Tonio das Laufen beibrachten. Nicht einmal das plattbödige Flaggschiff der niederländischen Fußballkunst entkam heute dem Pantonionismus.
    Auch auf der Fußgängerbrücke zwischen dem Max Euweplein und der Stadhouderskade (die Brücke, der ich eine so entscheidende Rolle bei Tonios Ende zugedacht hatte) drängte sich das johlende Volk, das bereits mit vollen Händen orangefarbenes Konfetti herabrieseln ließ, obwohl das Boot erst auf Höhe des ehemaligen Lido fuhr. Ich ließ meinen Blick über die Fassade des Holland Casino gleiten und versuchte, die Überwachungskameras auszumachen, die Tonios letzte Tat auf dieser Welt festgehalten hatten. Ich konnte sie nicht auf Anhieb entdecken. Für den, der das Kasino überfallen wollte, durfte das Überwachungssystem ja auch nicht zu auffällig sein.
    An der anderen Ecke des Eingangs zum Max Euweplein lag das Grand Café, in dem Tonio vor noch nicht einmaleinem Jahr zum erstenmal mit seinen künftigen Kommilitonen zusammengetroffen war. Die kleine Abordnung, die uns Anfang Juni Blumen gebracht hatte, hatte erzählt, wie das vor sich gegangen war. August 2009. Tonio arbeitete bei Dixons und konnte dadurch erst spät an den Einführungen teilnehmen. Als er sich endlich mit seiner »Gruppe« verabredet hatte, erschien er viel zu spät. Um die Zeit totzuschlagen, versuchten die Studienkameraden im Grand Café, die Tonio noch nicht kennengelernt und noch nicht einmal ein Foto von ihm gesehen hatten, sich ein Bild von ihm zu machen, einzig und allein aufgrund seines Namens und seines Geburtsdatums. Es wurde immer mehr zu einem seriösen Spiel. Aus den spärlichen Fakten setzten sie, rein vom Gefühl her, ein Porträt von ihm zusammen, eine Art intuitives Phantombild. Äußere Merkmale wie Haartracht und Körpergröße wurden genannt und wieder verworfen. Eine knappe Mehrheit kam zu dem Schluß, er könne nicht größer als eins fünfundsiebzig sein. Eine andere knappe Mehrheit bedachte ihn mit langem, dunklem Haar und dicken Augenbrauen, die über der Nasenwurzel ein wenig aufeinander zu wuchsen. Zum Schluß waren alle sich mehr oder weniger einig: So und nicht anders mußte die fehlende Person aussehen.
    Ungefähr in dem Augenblick betrat Tonio, in der Gewißheit seiner Anonymität, das Grand Café. Er suchte die Tische nach dem ab, was seine Gruppe sein könnte. Es war brechend voll. Wie sollte er seine Kommilitonen, die er noch nie gesehen hatte, erkennen? Plötzlich gingen zehn Arme winkend in die Höhe, und er hörte aus zehn Kehlen zugleich: »Huhu, Tonio … hierher!«
    Sie hatten sich, ganz demokratisch, genau die richtige Vorstellung von ihm gemacht. Wenn ich mir sein Erstaunen in dem Moment vorstellte, sein verlegenes Grinsen (das irgendwo zwischen den Schulterblättern begann), kamen mir die Tränen. Keine neun Monate später sollte er, einen kleinenSteinwurf vom Grand Café entfernt, auf der anderen Seite des Ringkanals von einem Auto auf den Asphalt geschleudert werden.
    In Gedanken sah ich ihn auf den Tisch seiner Kommilitonen zugehen. »He, was ist das? Was gibt das?«
    Lachend, leicht ungelenk, beginnt er, Hände zu schütteln. »Shit, woher wußtet ihr …«
37
     
    Das Spielerboot näherte sich Dem Ort, dort, wo die Singelgracht eine Biegung nach links macht, Richtung Rijksmuseum. Noch immer bewegten sich Fans, geduckt oder rücklings über die bewachsene Uferböschung rutschend, zum Wasser, als wären sie bereit, zum Boot zu waten, notfalls bis zum Hals im braunen Matsch.
    »Komm.« An einer wogenden Mauer aus orangefarbenen Rücken und Perücken entlang zog ich Mirjam hinter mir her. Die Kreuzung Hobbemastraat/Stadhouderskade lag verlassen da. Hoch darüber schwebte ein Helikopter, freilich nicht, um Den Ort zu bewachen. Die Menschen kehrten ihm frenetisch jubelnd den Rücken zu. Von gelben Linien auf der Fahrbahn, vor denen die Beamten des Polizeireviers James Wattstraat uns gewarnt hatten, keine Spur mehr – weggewischt von Autos, die keinen Radfahrer vor die Stoßstange bekommen hatten.
    Ich zeigte Mirjam die Stelle. »Dort ungefähr.«
    Hier war er aus dem Leben gestoßen worden. Das Leben noch nicht ganz aus ihm, doch der Rest war vor allem ein großer Versuch

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