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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Einwände, uns nach achtzehn Monaten wieder ziehen zu lassen, sofern wir selbst für einen neuen, zahlungsfähigen Mieter sorgten. Bevor wir einen gefunden hatten, kam der Pensionstyp bereits mit einem Konzertpianisten an. Die oberen Etagen seien genau, was dieser für seine beiden Flügel suche. Ich fragte mich, ob die kleinen Räume wohl die richtige Akustik böten, aber vielleicht spielte der Pianist ja ausschließlich moderne Kompositionen für in Daunen verpacktes Piano, dessen Tasten durch eine Gummimatte hindurch anzuschlagen waren, während ein blecherner Specht die Beine bearbeitete. Ich war viel zu froh, daß wir aus unseren Mietverpflichtungen entlassen wurden und schon so baldin das neue Haus in der Johannes Verhulststraat einziehen konnten, um darüber nachzudenken.
    (Mit dem neuen Mieter hatte der Pensionsfonds der Werbeagentur kein Glück. Nach ein paar Monaten vorausbezahlter Miete gingen keine Zahlungen mehr ein. Als sich der Mietrückstand auf ein volles Jahr summiert und der Gerichtsvollzieher sein Kommen angekündigt hatte, stellte sich heraus, daß der Konzertpianist, dessen Namen niemand je auf einem Plakat gesehen hatte, »mit der Nordsonne«, das heißt: auf Nimmerwiedersehen, verschwunden war. Eines Tages erhielt ich einen Anruf von Cristofori, der Klavierfirma an der Prinsengracht, nicht weit von der Leidsegracht. Eine Dame fragte mich, ob ich ihr die neue Adresse des Freundes geben könne, der die Wohnung an der Leidsegracht von mir übernommen habe.
    »Sehen Sie, er hat bei Cristofori zwei Spitzenflügel geleast … übrigens ohne seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen … und die hat er offenbar in seine neue Bleibe mitgenommen. Also, wir dachten, daß Sie vielleicht …«
    Ich erklärte ihr, der Konzertpianist sei kein Freund von mir und ich hätte ihn nie gesehen, auch nicht auf dem Podium. Die Mitarbeiterin von Cristofori erzählte mir auch noch empört seufzend, der Mann sei so dreist gewesen, für das Hinunterhieven der beiden Flügel die Hilfe einiger Bauarbeiter in Anspruch zu nehmen, die während des Umzugs im Souterrain arbeiteten – im Auftrag der Werbeagentur.
    »Den Dreisten gehört die halbe Welt«, sagte ich nur.
    » Und zwei unserer teuersten Klaviere«, fügte sie hinzu.
    Ich erzählte die Geschichte abends Tonio, als ich ihn auf der oberen Etage seines neuen Stockbetts zudeckte. Ich schmückte die Geschichte mit dem Bild eines Mannes aus, der, an den Schultern die beiden Konzertflügel, der »Nordsonne« entgegenflog.
    »Es gibt keine Nordsonne«, sagte er entschieden. »DieSonne geht im Osten auf. Im Süden ist sie an ihrem höchsten Punkt, und im Westen geht sie unter.«
    Mit einem Mann, der sich mit Hilfe von Konzertflügeln in die Lüfte erhob, hatte er offenbar weniger Probleme. Er ließ mich die Geschichte immer wieder von vorn erzählen und mußte dann laut lachen über den Streich, den wir dem Vermieter unserer vorigen Wohnung gespielt hatten, indem wir das klavierspielende Fabelwesen darin zurückließen.)
    Die Formalitäten für den Hauskauf gingen ihren Gang. Wir erwarteten jeden Moment einen Anruf, wir sollten uns zum Notar begeben. In der Leidsestraat bestieg ich täglich die Linie 2 und fuhr nach Amsterdam-Zuid. Im Café Bar-B-Q an der Ecke Banstraat   /   Johannes Verhulst, schräg gegenüber unserem neuen Haus, setzte ich mich dann ans Fenster, um auf die gelbe Backsteinfassade zu schauen. Es war die linke Hälfte eines Doppelhauses. Unsere Fassade war erst vor kurzem gesandstrahlt worden, während die des Hauses rechts davon anscheinend in dessen ganzem Leben noch nie gereinigt worden war und allen Schmutz und Ruß des dem Ende zugehenden Jahrhunderts angesammelt hatte. In der schmuddeligen rechten Hälfte des gelben Zwillings wohnte und praktizierte ein Lungenarzt. Der Wirt des Bar-B-Q erzählte mir, die Standardantwort des Arztes, wenn er von Patienten auf seine rußige Fassade angesprochen wurde, laute: »Das dient zur Illustration der Untersuchung … um Ihnen zu zeigen, wie Ihre Lungen nach vierzig Jahren Rauchen aussehen.«
    Viel war sonst an unserem Haus noch nicht zu sehen. An den Fenstern hingen ausgeblichene Vorhänge, auf den Fensterbänken standen Töpfe mit vertrockneten Pflanzen, stumme Wächter gegen eventuelle Hausbesetzungen. Ich saß da und schaute und sagte mir immer wieder, daß wir dort ein neues Leben beginnen würden. Tonio, gerade vier geworden, würde dort aufwachsen, nach seinem Abitur aus dem Haus gehen und nach Jahren,

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