Tontauben
sich nicht.
Vielleicht ist das alles, was wir zusammen haben können, sagt sie plötzlich. Eine Kinovorstellung, ein Essen. Ein paar Heimlichkeiten.
Lass uns gehen, sagt er.
Wohin?
Zu dir?
Nein. Sie schüttelt den Kopf. Sagt nochmals: Nein.
Er legt das Geld auf den Tisch. Reicht ihr die Hand. Komm.
Sie hat das Zimmer gebucht. Hat vor dem Tresen gewartet, bis die Frau dahinter sich ihr zuwandte. Hat nach einem Doppelzimmer gefragt, für eine Nacht. Sie ist noch nie in diesem Hotel gewesen. Sie hat kurz überlegt, einen falschen Namen zu nennen, und hat es nicht getan. Tristan hat sich währenddessen im Foyer umgeschaut. In einem Prospekt geblättert, einen Apfel aus der Holzschale genommen. Später hat sie den Prospekt auf dem Tisch liegen sehen. Inselwanderungen.
Das Zimmer ist klein. Musselinvorhänge, weiße Spitzenkissen, eine Landkarte von der Insel in pastellenen Farben. Hier sind wir, sagt sie. Ihr Finger auf der Landkarte. Er legt von hinten beide Arme um sie. Hier, sagt er. Küsst sie auf den Hals, ins Haar. Hier und hier. Sie löst sich aus seiner Umarmung, geht ins Bad. Sieh dir die Armaturen an, ruft sie, golden! Sie lacht. Das ist das Mädchenzimmer einer Baroness!
Er sitzt auf dem Bett, neben sich eine kleine Flasche Sekt aus der Minibar. Zwei Weingläser dazu. Sie stoßen an. Sie denkt kurz an die Hunde, die noch kein Fressen bekommen haben. Die Vögel, die nach Haferflocken suchen. An David, neben ihm seine Mitschüler. Der Primus. Der Klassenclown. Der, den alle immer nur beim Nachnamen nennen. Der, der das Klassenbuch hütete und weinte, wenn man es ihm wegnahm. Der, dem David Nachhilfe gab und der nur durchkam wegen seines Charmes. Sie hat sie alle kennengelernt, vor Jahren, als einmal die Frauen mit eingeladen waren. Und bald an einem eigenen Tisch saßen. Über die Kinder sprachen, die Häuser, ein wenig über ihre Arbeit. Sie war erleichtert gewesen, als es vorbei war.
Der Sekt ist kalt und zu süß. Sie sieht Tristan an. Hat Lust, ihn zu küssen. Seine Arme zu streicheln, auf denen sich die Adern abzeichnen. Sie ist plötzlich sehr müde. Die Vorstellung, sich ihm zu ergeben, sich hinzugeben. Die Überwältigung, die Auflösung. Sie hat es sich so oft gewünscht in den letzten Wochen. Sei ehrlich, denkt sie, du bist nicht überrascht. Vielleicht wird es ihr später leid tun. Aber sie rechnet nicht damit.
Tristan fragt: Wann kommt David wieder?
Morgen, sagt sie.
Und Yola?
Ihr Name in diesem Raum. Sie schüttelt den Kopf. Sieht ihn nicht an.
Ich weiß es, sagt er leise. Sie hört es, versteht es nicht. Was?, denkt sie. Was weißt du?
Hast du gehört: Ich weiß, dass sie tot ist.
Er muss verrückt sein. Verrückt oder grausam. Sie sagt: Sei still. Legt sich die Hände auf die Ohren. Wenn sie sie bewegt, ist ein Rascheln zu hören. Als ob sie unter Laub liegt, das gesammelte Laub eines Jahres. Auf ihren Beinen, die plötzlich schwer sind. Auf ihren Armen, ihrer Brust. Ihrem Hals. Sie atmet tief ein. Wo ist die Luft geblieben?
Erst wusste ich es nicht, sagt Tristan. Aber dann habe ich davon erfahren. Er versucht ihre Hände in seine zu nehmen, aber sie zieht sie weg. Er sagt: Es tut mir so leid.
Seit wann?, fragt sie. Seit wann weißt du es?
Schon lange, sagt er.
Das Licht im Zimmer ist gelb geworden, satt, fast braun. Man könnte meinen, es sei Sommer. Man könnte sich im Meer ertränken. Man könnte sich die Arme ritzen, den Hals zudrücken. Man könnte jemanden um Hilfe bitten. Öffne das Fenster, würde man sagen. Halte mich. Lass los. Das ist die einzige Alternative: ein Strick im Keller, eine Waffe im Haus, ein Fenster, das hoch genug ist, Steine in den Hosentaschen und den Bauch voll Schlaf.
Sie steht auf, macht einen Schritt zum Schreibtisch.
Anne. Er legt alle Zuneigung in diesen Namen. Zu spät, denkt sie. Sie glaubt ihm nicht, kein Wort mehr.
Ich hätte es nicht erwähnen sollen, sagt er, ich wollte nur –
– mit offenen Karten spielen, beendet Anne seinen Satz. Natürlich. Sie lacht kurz auf. Spürt, wie die Wut heranstürmt. Wie sie den Puls beschleunigt, sich in ihr breit macht, ein Beben hinter jedem Wort.
Weißt du, was das Komische ist? Sie sieht ihn an. Wartet, bis er antwortet, bis er Nein sagt: Nein, weiß ich nicht. Das Komische ist, sagt sie, dass du nichts verstehst. Was ich an dir mochte, war deine Ahnungslosigkeit. Dass ich bei dir nicht die war, die das Kind verloren hat. Bedauernswert. Mitleid erregend. Ich glaube fast, das war alles.
Das
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