Top Secret - Der Auftrag
sie sagen wollten: Ist dieser Witzbold wirklich so eingebildet oder tut er nur so? John war es egal; er wusste, dass die Polizisten die Warnung ernst nehmen würden, wenn sie erfuhren, mit wem sie arbeiteten.
»Trinken Sie aus, dann führe ich Sie nach oben, damit Sie die CHERUBs kennenlernen«, sagte John.
Ray kratzte sich an der Nase. »Was macht denn ein Cherubim so in seiner Freizeit?«
21:11 Uhr
Millie arbeitete noch immer in dem gleichen engen Büro, in dem sie 1996 ihren Dienst in Palm Hill angetreten hatte. Neun Jahre hatte sie ihrer Arbeit gewidmet. Sie hatte Zwölf-Stunden-Schichten geschoben, Gemeinderatssitzungen beigewohnt, die bis in die frühen Morgenstunden dauerten, und sie kam auch an ihren freien Tagen oftmals ins Büro, um Papierkram zu erledigen.
Dass Michael Patel eine kriminelle Vergangenheit hatte, hatte sie tief erschüttert. Wie gut war sie als Polizistin überhaupt, wenn sie nicht einmal gemerkt hatte, dass ihre rechte Hand ein Tyrann, ein Dieb und wahrscheinlich auch noch ein Mörder war? Wie auch immer diese Operation verlief, Millie hatte sich entschlossen, den Polizeidienst sofort danach zu beenden.
Vor ihr lag ein Haufen Unterlagen, die bearbeitet werden mussten, aber sie hatte die letzte halbe Stunde nur grübelnd in ihre Kaffeetasse gestarrt, mit den Fü ßen in den schwarzen Socken auf dem Schreibtisch. Als das Handy in ihrer Tasche vibrierte, war Chloe aus dem Hotel am anderen Ende.
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, entschuldigte sich Chloe. »Der Wetterbericht für morgen sieht gut aus. Ich habe John angerufen, damit er das Startsignal gibt, und er hat es gegeben.«
»In Ordnung«, antwortete Millie und lächelte, zum ersten Mal seit Tagen, wie sie meinte. »Ich hoffe nur, dass es auch klappt.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte sie Chloe. »John kennt sich da aus. Er hat solche Operationen schon durchgeführt, als wir beide noch in den Windeln lagen.«
Millie legte auf. Sie wusste, es würde nicht leicht werden, aber es war eine Erleichterung, nach drei Wochen Vorbereitungszeit endlich loszulegen. Sie nahm die Füße vom Tisch und schlüpfte wieder in ihre Schuhe, rollte den Stuhl vor und griff zum Hörer des Festnetztelefons auf ihrem
Schreibtisch. Ihre Finger tippten die Kurzwahlnummer dreiundsiebzig - Michael Patels Privatnummer.
»Sechs-Null-Drei-Eins!«
»Pat, bist du das? Ist er zu Hause?«
»Oh, hi Millie«, sagte Patricia und rief nach ihrem Mann, bevor sie wieder in den Hörer sprach: »Du musst übrigens bald mal wieder zum Essen kommen.«
»Sehr gerne«, log Millie. Sie hörte die kleine Charlotte im Hintergrund schreien. »Klingt, als ob die junge Dame nicht ins Bett wollte.«
»Sie war schon den ganzen Tag lang so aufgedreht. Erst wollte sie nicht in die Badewanne, jetzt will sie nicht raus«, meinte Patricia und rief wieder: »Michael, nimmst du den Anruf jetzt an oder nicht? Ich kann Charlotte nicht allein im Wasser lassen.«
Sie legte den Hörer ab und lief davon. Zwei Sekunden später nahm ihn Michael auf. »Entschuldige, dass du warten musstest, Boss. Was gibt es denn?«
In der vergangenen Woche hatte Millie die Lüge Hunderte Male geübt. »Ich muss dir leider schlechte Nachrichten überbringen, Mike. Kannst du dich daran erinnern, dass du vor ein paar Wochen am Samstagabend einen Jungen namens James Holmes am Stausee verhaftet hast?«
»Ja. Ein zäher kleiner Bursche, er hat sich mit ein paar echt harten Kerlen angelegt. Was ist mit ihm?«
»Ich habe gehört, dass Holmes’ Anwalt eine Klage gegen dich eingereicht hat. James behauptet, du hättest ihn mit dem Kopf gegen das Wagendach gestoßen,
als du ihn ins Auto gesetzt hast. Das offizielle 289B-Formular bekommst du morgen. Du wirst wohl zur Dienstaufsichtsbehörde wegen der Befragung müssen, aber ich dachte, dass du es lieber gleich weißt, damit du dein Notizbuch überprüfen und die Details kontrollieren kannst.«
»Danke, Boss. Wahrscheinlich das Übliche: Mein Wort gegen das von Holmes, aber es ist dennoch ärgerlich. Einen halben Tag bei der Dienstaufsichtsbehörde verschwenden, obwohl ich lieber tausend andere Dinge erledigen sollte.«
Millie zog die Schraube noch ein wenig enger. »Ich habe noch eine Neuigkeit: James’ Anwalt rechnet damit, dass er die Aufzeichnung einer Überwachungskamera bekommt, die den Vorfall belegt.«
»Oh.« Michael klang beunruhigt. Erst nach ein paar Sekunden hatte er sich wieder gefangen. »Von mir aus kann er so viel
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