Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
Kleidung mit Dreck vollgesaugt hatte. Ihre Verbrennung war dunkler geworden, ebenso wie die Schrammen an Kinn und Handgelenken. Als sie sich bis auf die Socken ausgezogen hatte, erschrak sie, weil die Tür klapperte.
Nervös sprang Ning zurück, doch Dan steckte nur den Arm durch die Tür. Blind tastete er an der Wand entlang, hängte einen rosa Bademantel an einen Haken an der Innenseite der Tür und hielt ihr anschließend ein kleines, kunstvoll geformtes Stück Seife hin.
»Meine Schwester hat hiergelassen, nach Heirat«, erklärte er.
Zu Hause hatte Ning für gewöhnlich exklusive Markenartikel benutzt, aber das krümelige rosa Seifenstück mit dem aufgeprägten Schwan hatte etwas Beruhigendes an sich.
Es tat grausam weh, die Socke auszuziehen, und als sie es geschafft hatte, betrachtete sie eine rosa geschwollene, gebrochene Zehe, die in beunruhigendem Winkel abstand. Doch rein gefühlsmäßig kam Ning sich ein wenig stärker vor, als sie unter das Rinnsal von Dusche trat und sich den Gestank aus den Haaren wusch. Sie achtete darauf, keine Seife auf den Bauch zu bekommen, und als sie aus dem Bad kam, fühlte sie sich fast wieder menschlich.
Der Rest von Dans Wohnung bestand aus einem einzigen Zimmer, etwa fünf mal fünf Schritt groß. Neben dem Bett bestand die Einrichtung aus einem Flachbildfernseher, einer Fitnessbank und einem Haufen Hanteln und Gewichtsscheiben. Auf den Postern an der Wand waren großbusige Frauen in spärlicher Lederbekleidung zu sehen.
Bei der überwältigenden Präsenz von Männlichkeit fühlte sich Ning verletzlich, da sie unter dem Bademantel nichts trug, aber Dan schien nicht bedrohlich, als er in der Küche einen Apfel aufschnitt und die Stücke auf zwei Teller verteilte.
»Setz dich auf Bett«, verlangte er.
Ning setzte sich, und Dan kam mit einem Becher Tee und einem kleinen Teller zu ihr, auf dem Käsewürfel und Apfelstücke lagen, ein Stück Fleisch, das noch die Form der Dose hatte, aus der es gekommen war, und ein dreieckiges Stück Brot, das Ning misstrauisch begutachtete.
»Lepioschka«, sagte Dan. »Magst du nicht?«
Lächelnd biss Ning hinein und sagte: »Doch, mag ich. So ein Brot habe ich noch nie gegessen.«
Dan setzte sich neben Ning aufs Bett. Er hatte seine Turnschuhe ausgezogen, und seine Socken stanken, aber darüber konnte sie sich ja kaum beschweren. Dans Teller enthielt das Gleiche wie ihrer, nur mehr davon.
»Tut mir leid, das mit Fuß«, entschuldigte sich Dan, an einem Stück Dosenfleisch kauend. »Ich große Gefühle Schuld.«
Ning nickte und sprach extra langsam, damit Dan sie verstand. »Es war sehr mutig, mir zu helfen.«
»Kirgistan sehr arm«, erzählte Dan. »Du hast Müllfrau gesehen?«
»Die, die Kuban verprügelt hat?«
»Ja. Viele hier leben so. Alte bekommen kein Geld. Junge keine Arbeit. Sogar in Afrika viele Menschen reicher als Kirgisen. Verstehst du?«
»Ich verstehe«, bestätigte Ning.
»Ich will gerne Mechaniker oder in Laden arbeiten. Vielleicht sogar Lehrer. Ich arbeite für Aramov-Clan, weil ich viele Muskeln.«
Um seine Aussage zu unterstreichen, zog er den Ärmel seines »Barcelona«-T-Shirts hoch und zeigte ihr einen riesigen Bizeps.
»Ich hasse vieles, was Aramov-Clan tut. Aber ich keine Eltern. Schwester heiratet, geht weit weg. Wenn ich nicht arbeite für Aramov, kein Geld, keine Wohnung, kein Strom, kein Essen. Ich wie Müllfrau. Ja?«
Ning legte die Hand auf die Brust.
»Du hast ein gutes Herz. Wie alt bist du?«
»Sechzehn. Du?«
»Elf«, antwortete Ning. »Fast zwölf.«
»Kuban sagt mir, ich soll Leute verletzen. Schlimm, wenn man nicht gehorcht Aramov-Clan. Sie mich töten, wenn sie dich finden. Viel Schmerz, als Beispiel.«
»Kannst du mich von hier fortbringen?«, fragte Ning.
Dan wirkte unsicher. »Muss viele Dinge herausfinden. Braucht Zeit.«
Im Müllcontainer hatte Ning ihren Rucksack durchsucht und festgestellt, dass das Bündel mit fünfundzwanzigtausend Dollar noch in einem alten Paar Socken steckte. Doch obwohl Dan vertrauenswürdig erschien, entschied sie sich dafür, das fürs Erste nicht zu erwähnen.
»Keine Angst«, meinte Dan. »Morgen ich sehe Krankenschwester. Alte Freundin von Schwester. Sie dich ansehen. Wird besser.«
»Kannst du ihr vertrauen?«, fragte Ning.
»Vertrauen?« Das Wort kannte Dan nicht.
Ning versuchte, es anders auszudrücken. »Diese Freundin. Ist das sicher für mich?«
»Sicher, ja!«, lachte Dan. »Sie hasst mich dafür, dass ich arbeite für Aramov. Sie
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