Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
Chancen auf Flucht an der Hintertür zum Garten oder auch durch das Küchenfenster besser standen – zur Not würde sie die große mittlere Scheibe einschlagen.
Aber die anderen Frauen würden erst in zwölf Stunden wiederkommen, und ihre Flucht würde wahrscheinlich besser gelingen, wenn sie sich ein wenig Zeit nahm, um sie zu planen. Sie hatte immer noch ihre amerikanischen Dollar, aber für sie war englisches Geld unterwegs von größerem Nutzen. Außerdem konnte es nicht schaden, wenn sie wusste, wo sie sich überhaupt befand.
Frauen wie Mei, die den Gangs, die mit ihnen handelten, noch Geld schuldeten, durften das Haus nicht verlassen, aber diejenigen, die ihre Schulden abbezahlt hatten, konnten an ihren freien Tagen hinausgehen, wenn Leo es ihnen erlaubte.
Soweit Ning es verstanden hatte, waren die einzigen beiden außer ihr, die keinem Gangster mehr Geld schuldeten, zwei aus dem Quartett, das sie am Morgen geärgert hatte. Vielleicht fand sie in ihrem Zimmer etwas Nützliches, zum Beispiel Geld, einen Busplan aus der Umgebung oder einen Umschlag mit einer Adresse. Wenn sie viel Glück hatte, fand sie vielleicht sogar ein Handy, von dem aus sie Dan anrufen und ihm sagen konnte, dass es ihr gut ging.
Ning sehnte sich nach einer Dusche. Außerdem würde ihr das einen Vorwand geben, um nach oben zu gehen und schnell das Zimmer der anderen Mädchen zu durchsuchen. Sie schnappte sich saubere Kleidung, ein Handtuch und Seife und ging nach oben.
Leo hatte zwar klargemacht, dass Ning ihm aus dem Weg bleiben sollte, aber obwohl er viel herumbrüllte, schien keine der Frauen wirklich Angst vor ihm zu haben. Im Erdgeschoss stellte sie beruhigt fest, dass seine Zimmertür geschlossen war und die Playstation plärrte.
Da die Dusche ständig in Gebrauch war, war der Badezimmerboden immer nass. Es roch noch nach Zigaretten, die Duschwanne hatte einen Schmutzrand, und im Abfluss klebten Haare. Ning wollte den frischen Verband an ihrer Hand nicht nass machen und löste das Problem, indem sie die Plastikverpackung von einer Rolle Toilettenpapier riss und sie sich um die Hand wickelte.
Trotz des dreckigen Bades und der in Plastik gewickelten Hand genoss Ning das heiße Wasser und brauchte länger, als nötig gewesen wäre. Sie wusch sich gerade die letzten Shampooreste aus den Haaren, als Leo hereinplatzte.
»Bist du eigentlich taub, Fräulein?«, schrie er. »Was habe ich dir gesagt?«
Ning war nackt und versteckte sich hinter einem dünnen weißen Duschvorhang.
»Was habe ich gesagt?«, wiederholte er.
»Ich … ich weiß nicht mehr«, antwortete Ning und drückte schaudernd die Schulterblätter an die Wandfliesen. »Kann das nicht warten?«
»Ich habe dir gesagt, du sollst unten bleiben«, sagte Leo, hob den Klodeckel und begann zu pinkeln. »Du bist auf dem besten Weg, dir eine zu fangen!«
»Ich dachte, Sie hätten nichts dagegen, wenn ich nur leise bin.«
Bevor Leo noch etwas sagen konnte, klingelte es an der Tür.
»Verdammt noch mal!«, schrie er, zog sich hastig die Hose zu und rannte hinaus. »Immer wenn man gerade pinkelt!«
Während Leo die Treppe hinunterrannte und zur Tür lief, beschloss Ning, dass es wohl besser wäre, ihn nicht weiter dadurch zu verärgern, dass sie in der Dusche blieb. Also spülte sie schnell ihr Haar aus, trocknete sich ab und zog frische Wäsche, Jeans und Sweatshirt an. Als sie zur Treppe kam, stieg ihr ein unangenehmer Geruch in die Nase, und sie hörte, wie ein Mann mit Leo sprach. Er sprach Chinesisch, und sein Tonfall verriet Ning, dass er Leos Boss war.
»Was sollen wir denn mit ihnen machen?«, fragte Leo ein wenig besorgt.
»Sauber machen und versteckt halten, bis sie jemand abholen kommt.«
Die Erwähnung von »sauber machen« ließ Ning befürchten, dass jemand ins Bad kommen könnte, daher lief sie schnell über den Gang in das Zimmer der vier fiesen Mädchen. Ein Blick nach unten zeigte ihr Leos kleinen, aber kräftig gebauten Boss und zwei schwarzhaarige Mädchen, die zusammengesunken an der Wand lehnten.
»Mensch, Ben, was ist denn mit denen passiert?«, hörte Ning Leo von der Tür des Zimmers aus fragen.
»Der Fahrer war Pole«, erklärte Ben. »Vor ein paar Tagen sind Fahrer und Wagen verschwunden. Gestern Abend habe ich einen anonymen Anruf bekommen, wo ich ihn finden kann.«
»Warum lässt ein Fahrer seinen Wagen im Stich?«, wunderte sich Leo. »Und wer hat angerufen?«
»Russen«, erzählte Ben. »Eine Bande von ihnen versucht, sich eine
Weitere Kostenlose Bücher