Topchter der Köingin Tess 1
nicht geschlachtet, und ihren Wagen hast du auch nicht niedergebrannt.«
»Nein.« Er schenkte einen zweiten Becher ein. »Trink einen Schluck Tee. Er wird dir helfen, wach zu bleiben.«
Vor lauter Aufregung hätte ich das dunkelbraune Gebräu beinahe verschüttet, als er mir den Becher reichte. Er versuchte nicht, mich schläfrig zu machen; er sorgte dafür, dass die anderen nicht aufwachten! »Die Zigeunerin ist eine Spielerin, nicht wahr?«, fragte ich. Ich machte mir nicht die Mühe, meinen Tiegel Honig zu holen, denn ich fürchtete, dass Kavenlow mich zwingen würde, ihn am Morgen mit der Prinzessin zu teilen.
»Früher einmal.« Kavenlow beobachtete die langsamen Atemzüge der Prinzessin. »Vor fast zehn Jahren hat sie ihren Einflussbereich freiwillig an ihren Nachfolger abgetreten. Jetzt streift sie durch die Welt und fungiert als Vermittlerin und Richterin unter uns anderen. Ich mag sie nicht. Spieler hören niemals auf zu spielen. Sie bedienen sich nur immer mächtigerer Figuren.«
Ich schob die halb erfrorenen Zehen fast bis in die Kohlen. »Du hast mich zu ihr gebracht. Warum?«
Er nippte an seinem Becher, und seine Finger trugen immer noch Spuren der Tinte aus meiner letzten Geschichtsstunde. »Ich habe dich vor langer Zeit als meine Schülerin angenommen, aber ich hatte keine Lust, dich ihr vorzustellen. Diese Begegnung war nichts Besonderes. Vergeude deine Zeit nicht darauf, irgendeine Bedeutung darin zu suchen.«
»Sie hat mich auf die Probe gestellt«, sagte ich, als ich mich deutlicher erinnerte. Zorn schwang in meinen nächsten Worten mit. »Sie fand mich zu schwach.«
Die Runzeln auf seiner Stirn vertieften sich, und sein Blick wirkte gequält. »Ihrer Auffassung nach bist du schwach: Du bemühst dich lieber um einen Kompromiss, als dich jedem Konflikt frontal zu stellen, und du kannst dich zwar selbst verteidigen, bringst es aber nicht über dich, jemanden zu töten, selbst dann, wenn du glaubst, er hätte den Tod verdient.«
Kläglich ließ ich den Becher auf meine Knie sinken. Woher weiß er, dass ich Garrett nicht töten konnte? »Ich tauge nicht für dieses Spiel, oder? Das hat sie gesagt. Dass du noch einmal von vorn anfangen solltest.«
Zu meinem großen Erstaunen legte er mir einen Arm um die Schultern und drückte mich von der Seite an sich. »Tess, du bist auf diesen Gebieten schwach, weil ich mir meine Nachfolgerin so wünsche. Ich wollte keinen Soldaten. Ich wollte eine intelligente, kultivierte, schöne Frau, die lieber eine Lösung sucht, statt auf jedes Problem mit fliegenden Pfeilen und blitzenden Schwertern einzustürmen. Die andere durch ihren Charme gefügig machen kann, statt sie durch Ketten zu versklaven.«
Ich lächelte schief, und er ließ den Arm sinken. »Das Spiel verändert sich«, erklärte er. »Die alten Methoden werden nicht mehr lange funktionieren. Wenn feindliche Kräfte einander bekämpfen, hat keiner eine Wahl. Wenn eine Seite sich dem Kampf verweigert, dann hat diese Partei die freie Entscheidung. Deine Fähigkeiten eröffnen dir Möglichkeiten, über die deine Gegner staunen werden. Diese verbitterte alte Frau sieht das nur nicht. Sie wird es nie begreifen.«
Ich begriff es ebenfalls nicht, und Kavenlows stolzes Lächeln machte mich keineswegs zuversichtlich. Trotz allem, was er gesagt hatte – ich wusste, dass ich keinerlei Begabung hatte. Doch dann kam mir ein Gedanke. Kavenlow hatte gesagt, er könne Duncans Erinnerung beeinflussen. Die Zigeunerin hatte das Gleiche von mir behauptet, und Kavenlow hatte ihr gesagt, dass das bei mir nicht klappen würde.
Neugierig blickte ich auf. »Die Zigeunerin«, sagte ich zögernd, denn ich war unsicher, ob ich alles richtig in Erinnerung hatte. »Sie hat mich gefragt, ob ich ein Pferd reiten könne, nicht? Und – ob ich träume? Nein. Ob meine Träume wahr werden.«
Kavenlow fuhr zusammen. »An all das kannst du dich erinnern? Da soll mich doch einer bei Ebbe an den Pier binden. Ich habe sie gewarnt, dass du dich erinnern würdest.« Er lächelte hinter seinem Bart, warf ein zweites Büschel Wermut ins Feuer und wedelte den Rauch von uns weg. Hinter uns stampften die Pferde mit den Hufen.
»Es geht um das Gift«, sagte er schließlich. »Es ist die wichtigste Waffe des Spielers, ja, und ich kann mir vorstellen, dass Spieler ursprünglich einmal nur Meuchler waren. Doch sie verstärkten ihre natürliche Immunität gegen das Gift, indem sie sich ihm wiederholt aussetzten, um so besser vor dem Pfeil eines
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