Topchter der Köingin Tess 1
entlangbalancierte, die Arme weit ausgebreitet. Nun liefen mir die Tränen ungehemmt über die Wangen. Er vertraute mir, und ich ließ ihn im Stich. Ich konnte ihm nicht einmal erklären, warum.
Der Ast bog zur Seite ab, ehe er der Mauer nahe genug kam, um hinüberzuspringen, doch ein weiterer Ast verlief über meinem Kopf weiter zur Mauer und sogar darüber hinweg. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, packte ihn und schloss die Augen, um mich zu sammeln. Der Hunger schwächte mich, und vor Angst und Kummer war mir schwindlig. Meine Füße hoben sich von dem unteren Ast, und ich hangelte mich Handbreit um Handbreit voran. Banners Gebell brach mit einem herzzerreißenden, schmerzerfüllten Jaulen ab.
»Banner, lauf doch einfach weg«, schluchzte ich und drohte den Halt zu verlieren. Der Ast wurde dünner. Die Soldaten johlten, und mir drehte sich das Herz im Leibe um. Sie hatten ihn erschlagen. Da war ich mir sicher.
Eine Handbreit weiter, und ich erstarrte, als ich ein Winseln am Fuß des Baumes hörte. Banner! Er lebt! Dann sank mir der Mut. Er war zu mir gekommen, um herauszufinden, was er falsch gemacht hatte. Sie würden ihm folgen!
Meine Arme begannen zu zittern, als sich die Wachen geräuschvoll näherten. In Panik schwang ich mich voran. Ein Blick zeigte mir, dass die schimmernde Mauer schon unter mir lag. Meine Finger ertasteten einen glatten Lederriemen. Er gehörte zu einer Tasche, die in einem dichten Gewirr von Zweigen hing. Ich riss sie aus ihrem Versteck, ließ mich fallen und landete ein paar Fuß tiefer unsicher auf der Mauerkrone. Meine Muskeln zitterten vor Anstrengung und Kälte. Ich fühlte mich schwindelig, als würde ich gleich in Ohnmacht fallen, so unwirklich kam mir alles vor.
»Danke, Banner«, flüsterte ich, und Tränen nahmen mir fast die Sicht. »Du bist ein guter Hund. Und jetzt lauf!«
Ich rutschte über den Rand und fiel ins Nichts.
8
Ich schlug hart auf dem Boden auf und rollte auf die Straße hinaus. Ein Wagen näherte sich, schwarz und langsam und von einer einzigen Fackel erhellt. Ich humpelte von der Straße zurück und drückte mich in den Schatten der Palastmauer. Mein Herz hämmerte. Ein langgezogenes Heulen erhob sich hinter der Mauer, und ich schloss kummervoll die Augen. »Lauf, Banner«, flüsterte ich und verabscheute mich selbst. »Lauf weg.«
Ich war draußen. Das erschien mir kaum mehr wichtig. Ich senkte den Kopf, als der Wagen an mir vorbeirollte, schwer beladen mit Menschen und Hausrat. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich vor Dreck starrte und mit Rindenstückchen, Fett und Tau verschmiert war. Ich war noch nie zuvor allein außerhalb des Palastes gewesen und fühlte mich nackt und schutzlos ohne …
»Kavenlow«, stieß ich wütend hervor. Das hier ist seine Schuld, dachte ich, setzte mich hin und rieb mir den Knöchel, während der Wagen quietschend weiterrollte. Kavenlow hätte es mir sagen müssen. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich etwas unternehmen können. Ich war so erschüttert gewesen, als ich von meiner wahren Abstammung erfahren hatte, dass ich Garrett gegenüber blind geworden war. Ich hatte seine Frustration darüber gesehen, nur ein zweiter Sohn zu sein, und seinen Stolz, der ein eigenes Königreich verlangte. All das war da gewesen. Doch ich hatte es ignoriert und mich stattdessen in Selbstmitleid gesuhlt. Und jetzt waren meine Eltern tot. Meinetwegen.
»Tun dir jetzt schon die Füße weh, Liebes?«, krächzte eine Stimme.
Zischend sog ich den Atem ein. Eine alte Frau mit einer großen Stofftasche stand vor mir. Ich hatte sie nicht kommen hören, weil sie barfuß lief. »Wie bitte?«, stammelte ich erschrocken.
»Ob dir jetzt schon die Füße wehtun? Willst du denn nicht fort? Ich gehe fort. Misdever Soldaten überall in den Straßen«, brummte sie, und selbst im schwachen Lichtschein sah ich, wie schlecht ihre Zähne waren. »Und dann plötzlich kein Einziger mehr. Und die Costenopolier Wachen kehren in den Palast zurück, und keiner kommt, sie abzulösen? Gefällt mir nicht. Nein, gar nicht.«
Ich stand auf und belastete vorsichtig meinen Fuß, bis ich sicher war, dass ich darauf stehen konnte. Noch immer waren hinter der Mauer keine aufgeregten Rufe zu hören, doch ich musste weiter. Die Ledertasche in meiner Hand war alt und fleckig. Ich konnte das leise Klimpern von Münzen darin hören.
»Und diese arme Frau«, fuhr die Alte fort, während ich langsam von ihr abrückte. »Hat am Tor geschrien und Einlass
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