Topchter der Köingin Tess 1
vielleicht selbst mehr erfahren. »Mit dreizehn«, sagte ich. »Ein Attentäter spürte mich auf, während ich draußen in der Stadt war. Er hätte mich beinahe mit einem Pfeil erwischt.« Ich zupfte an meinem schmuddeligen Rocksaum herum. Es war ein grässliches Erlebnis gewesen. Ich konnte es Heather nicht verdenken, dass sie sich weigerte, mich in die Stadt zu begleiten. Ich hoffte, dass es ihr gut ging.
»Kavenlow wollte mir eine bessere Waffe zur Selbstverteidigung geben«, fuhr ich fort, »und er schlug genau die Waffe vor, die mich beinahe getroffen hätte. Er sagte, ich könne eine Immunität dagegen aufbauen, und dass das Gift mich nicht töten würde.« Mit einem flauen Gefühl im Magen erinnerte ich mich an jene erste Gabe Gift. Ich war tatsächlich nicht gestorben – doch damals hatte ich mir den Tod gewünscht. Die Krämpfe hatten mich sehr geschwächt und mir vor Schmerz Tränen in die Augen getrieben. »Er sagte, ich würde nie wieder einen Fuß nach draußen setzen, wenn ich es nicht täte. Das war schiere Erpressung, und ich musste es sogar vor meinen … meinen Eltern geheim halten. Sie haben den Grund für meine gelegentlichen Schwächeanfälle nie erfahren.«
Jeck gab einen Laut von sich, der verständnisvoll klang. Ich begegnete seinem äußerst aufmerksamen Blick. Sofort schloss ich den Mund. Ich redete zu viel. Er griff nach einem Ast, und sein Umhang dehnte sich über den breiten Schultern. Er stocherte in den Kohlen herum, ließ den Ast Feuer fangen und legte ihn darauf. »Magst du ihn?«, fragte er.
»Kavenlow?«, erwiderte ich schockiert. »Er ist wie ein zweiter Vater für mich.«
Er fixierte mich mit durchdringendem Blick. »Warum?«, fragte er, und dieses eine Wort machte mich nervös. »Er hat dich unzählige Male vergiftet und dich gezwungen, durch die Hölle zu gehen, mit der man Immunität aufbaut. Wofür? Um jemanden zu schützen, den du noch nie gesehen hast? Um dir die schwere Last einer Prophezeiung aufzubürden, die zu tragen gar nicht dein Schicksal ist? Er hat dich dein ganzes Leben lang belogen. Und dennoch traust du ihm?«
»Kavenlow hat mir öfter das Leben gerettet, als ich an beiden Händen abzählen kann«, erwiderte ich hitzig. »Er hat sich jedes Mal um mich gekümmert und ist mir nicht von der Seite gewichen, wenn ich das Gift genommen habe. Und er hatte für den nächsten Tag immer eine schöne Überraschung geplant, um es wiedergutzumachen. Einen seltenen Ausflug in die Hügel oder …« Abrupt verstummte ich und überlegte. »Oder ein großartiges Versteckspiel«, hauchte ich, als ich Kavenlows Zerstreuungen in ganz neuem Licht betrachtete. Ich hatte nie geahnt, dass sie mehr als Spiele waren. Wozu hatte Kavenlow mich geformt? Mein Blick huschte zu Jeck hinüber. Ich musste endlich aufhören zu reden.
»Mit dreizehn?« Jecks Stimme troff vor Unglauben. »Du hast mit dreizehn noch Spiele gespielt? In dem Alter habe ich gelernt, einen Mann auf fünfzehn Schritt Entfernung mit einem Wurfmesser zu töten.«
»Wie schön für Euch«, sagte ich trocken. »Aber ich musste niemanden töten, um außerhalb der Palastmauern zu gelangen. Hättet Ihr das auch fertiggebracht?«
Jeck brummte, wirkte aber eher erfreut als verärgert, wie ich erwartet hätte.
»Hört endlich auf, mit mir zu reden«, schnaubte ich daraufhin. »Ich will jetzt schlafen.«
»Tu das. Wir reiten vor Sonnenaufgang weiter.«
Ich zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, dass ich ihn gehört hatte, und strich die Erde an der Stelle glatt, wo ich würde schlafen müssen. Laub und Dreck klebten an meinen Handflächen, und ich blickte angewidert darauf hinab. Ich würde noch heute Nacht verschwinden, wenn es mir nur möglich wäre, mich mit den Pferden davonzustehlen.
Er knüllte seine Decke zusammen und warf sie übers Feuer. »Darauf kannst du schlafen«, sagte er.
Erleichtert spürte ich die grobe Wolle unter meinen Fingerspitzen. »Danke.«
»Nimm den auch noch«, sagte er, löste den Verschluss seines Umhangs und reichte ihn mir vorsichtig.
Ich nahm ihn überrascht an, und meine Augenbrauen hoben sich, als ich feststellte, dass der schwarze Wollumhang mit feiner, nachtschwarzer Seide gefüttert war. Ein prachtvolles Stück, und ich wunderte mich darüber, dass er etwas so Exquisites besaß. »Und worin schlaft Ihr?«, fragte ich, als ich bemerkte, dass er nur noch seinen Uniformrock trug.
»Ich bleibe wach, aus Gründen, die sich wohl von selbst verstehen.« Er trank einen Schluck Tee.
Weitere Kostenlose Bücher