Tor der Daemmerung
wohl schon alles erlebt haben mochte. Wie viele Freunde hatte er sterben sehen?
»Jetzt hat Jeb nur noch ein Ziel: So viele von uns wie irgend möglich nach Eden zu bringen.« Unnachgiebig sah er mich an. »Wenn das bedeutet, dass er einen von uns zurücklassen muss, um den Rest zu schützen, ist er bereit, dieses Opfer zu bringen. Er ist stärker in seinen Überzeugungen als ich, und manchmal vergesse ich das.«
»Du verteidigst ihn, weil er bereit ist, Leute aufzugeben und sie einfach sterben zu lassen?«
»Manchmal muss man Einzelne opfern, um viele zu retten.« Er wandte den Blick ab und ein verbittertes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Jeb sagt mir immer wieder, ich sei zu weich, und dass meine Sturheit mich davon abhalte, ein richtiger Anführer zu sein. Nein, ich will nicht, dass jemand stirbt oder zurückgelassen wird, aber genau diese Schwäche könnte dafür sorgen, dass die gesamte Gruppe getötet wird.«
»Zeke …« Eigentlich wollte ich ihm sagen, wie falsch das war, und dass Jebbadiah Crosse ein kalter, unvernünftiger, herzloser Mistkerl sei, aber ich tat es nicht. Denn in gewisser Weise, so traurig das auch war, stimmte ich ihm zu. Wer im Saum aufwächst, muss sich schon früh unangenehmen Wahrheiten stellen. Das Leben ist nicht fair. Wir alle lebten in einer kalten, gnadenlosen Welt, in der Menschen starben. So waren die Dinge nun einmal. Es gefiel mir zwar nicht, aber die Denkweise des alten Mannes hatte eine gewisse Berechtigung.
Trotzdem hielt ich ihn für ein Riesenarschloch.
»Jedenfalls …« Zeke zuckte mit den Schultern und schenkte mir ein verlegenes Lächeln. »Gern geschehen. Und ich bin froh, dass du zurückgekommen bist. Hat uns immerhin allen geholfen – nur so sind wir rechtzeitig von der Straße runtergekommen. Dafür danke ich dir .«
»Kein Thema.« Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Jetzt schien ein guter Zeitpunkt zu sein, aber ich wusste nicht, wie ich davon anfangen sollte. Schließlich entschied ich mich für mein übliches Vorgehen: direkt und ohne lang drumherum zu reden: »Zeke … wer ist Jackal?«
Er geriet ins Stolpern, kniff die blauen Augen zusammen und warf mir einen finsteren Blick zu. Damit wusste ich, dass ich auf der richtigen Spur war. Hastig fuhr ich fort: »Diese Männer auf der Straße sagten, Jackal sei auf der Suche nach jemandem. Damit meinten sie Jeb und dich, nicht wahr? Oder die gesamte Gruppe?« Mit dem Kopf deutete ich auf die Menschen, die vor uns hergingen. »Wer ist er, und was will er von euch?«
Zeke holte tief Luft. Mit einem wachsamen Blick über die Gruppe hinweg zu Jebbadiah brachte er noch mehr Abstand zwischen sich und die anderen. »Niemand von ihnen darf etwas davon erfahren«, sagte er leise, als ich mich ebenfalls zurückfallen ließ. »Sie haben keine Ahnung, wer Jackal ist, und das soll auch so bleiben. Abgesehen von Jeb bin ich der Einzige, der etwas von ihm weiß, du darfst seinen Namen also niemals erwähnen, verstanden?« Er schloss kurz die Augen. »Und bitte erzähl Jeb nicht, dass ich es dir gesagt habe.«
Ich nickte. »Aber warum diese Geheimniskrämerei?«, fragte ich dann stirnrunzelnd. »Wer ist dieser Jackal überhaupt?«
»Er ist ein Vampir.« Mein Magen verkrampfte sich. »Ein sehr mächtiger Vampir. Er führt eine Gruppe von Gangstern an, die überall im Land nach uns suchen. Die anderen denken, wir würden zufällig auf irgendwelche Gangs treffen, die uns schaden wollen. Und auch ohne die Hintergründe zu kennen, sind sie schon total verängstigt. Aber Jackal ist der König dieser Männer, und er ist uns jetzt schon seit Jahren auf der Spur.«
»Warum?«
»Er hasst Jeb«, erklärte Zeke mit einem Achselzucken. »Jeb hätte ihn einmal fast getötet, und das hat er nie vergessen. Er jagt ihn aus Rachsucht, und wenn er uns findet, wird er uns alle umbringen.«
Irgendwie ergab das keinen Sinn. »Willst du damit sagen, dass dieser Vampirkönig seine Gangsterarmee auf eine wilde Jagd quer durch das Land schickt, um nach jemandem zu suchen, der praktisch überall sein könnte? Und das alles nur, weil er diesen Menschen hasst?«
Zeke wich meinem Blick aus. Misstrauisch musterte ich ihn. »Was verschweigst du mir?«
»Das darf ich nicht sagen.« Flehend sah Zeke mich an. »Ich habe Jeb versprochen, es niemandem zu verraten. Und dieses Versprechen werde ich nicht brechen, ganz egal, was du sagst. Tut mir leid.«
Ich glaubte ihm, was merkwürdig war. Noch nie war mir jemand begegnet, der nicht
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