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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Schließlich hielten sie vor einem heruntergekommenen roten Backsteingebäude   – das waren die Unterkünfte, die der Mann bei der Einreise gemeint hatte   –, und das die Emigranten »Heim« nannten. Inge fand es ganz und gar nicht heimelig; es sah aus, als wäre es früher eine Schule gewesen. Jetzt hingen die Laubengänge voller Wäsche; überall standen Leute herum, redeten und rauchten. Wieder hieß es Schlange stehen und sich registrieren lassen. Jeder bekam eine Emailschüssel, einen Becher und einen Löffel, dazu eine Decke und ein Leintuch. Der Familie wurde eine Ecke in einem der Schlafsäle zugewiesen, den sie mit schätzungsweise 70   Personen teilte.
    Sofort ging Frau Finkelstein entschlossen zu Werk. Mit einer der Decken teilte sie die drei Schlafplätze   – ein Stockbett und eine Pritsche   – zu einem kleinen Separée ab, wie sie es bei den Mitbewohnern gesehen hatte. Die Kleider wurden an Stricken aufgehängt, die halb leeren Koffer zu einem Tisch zusammengeschoben.Inge musste an die Bootsleute auf dem Strom denken. Immerhin hatten sie hier mehr als »drei Bretter«, und schwammen nicht auf einem stinkenden Fluss.
    »Da drauf können wir »Mensch-ärgere-dich-nicht« spielen.« Inge klopfte gerade auf den improvisierten Tisch, als sich ein Kopf durch die wollene Trennwand schob. »Guten Tag und herzlich willkommen im Ward-Road-Heim«, begrüßte sie ein freundlicher älterer Herr. »Um sechs Uhr gibt es an der Essensausgabe der Gemeinschaftsküche eine warme Mahlzeit. Ich empfehle Ihnen, früh da zu sein, dann ist die Schlange nicht so lang.«
    »Vielen Dank, das ist sehr aufmerksam von Ihnen«, erwiderte Frau Finkelstein ein wenig gequält. Sie war es nicht gewöhnt, Almosenempfängerin zu sein. »Wir sind die Finkelsteins aus Brandenburg.«
    »Fred Frankfurter aus Wien, derzeit wohnhaft im Nachbarbett. Freut mich, Sie kennenzulernen, meine Gnädigste.« Er deutete einen Handkuss an.
    Als sie mit ihrem Essgeschirr aus dem Gebäude traten, war es bereits stockdunkel. Dass in dieser Weltgegend immer unvermittelt jemand das Licht ausknipste, hatte Inge schon an Bord gemerkt. Und wie rasch der Tag vergangen war, das sagte ihr der leere Magen. Seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen. Beim Warten in der Schlange dachte sie sehnsüchtig an das feine Porzellan, den blütenweißen Damast und das vielteilige, schwere Silberbesteck, mit dem sie gespeist hatte. Zum Glück war es ein komplettes Englisches Frühstück gewesen, daseinige Zeit vorhielt. Wie es Max wohl erging? Eigentlich müsste der doch auch hier sein. Sie sah sich nach ihm um, konnte ihn aber in der Schlange nirgends entdecken. Als sie an der Reihe war, bekam sie eine Kelle Hirsebrei und Kompott aus Backpflaumen in ihre Blechschüssel geschöpft, dazu einen Becher wässrigen Tee. Inge warf einen angewiderten Blick auf die undefinierbare Masse in ihrer Schüssel. Das sollte chinesisches Essen sein? Wie konnte man so was mit Stäbchen essen? Wozu hatte sie zu Hause damit geübt? Selbst Torte konnte man mit Stäbchen essen, nicht aber eine derartige Pampe. Überhaupt hatte sie sich ihre Ankunft in Schanghai anders vorgestellt.
     
    Als die Familie wieder in ihrer »Bettenburg« saß, war die Stimmung gedrückt.
    »Mein Gott, Marianne, was hab ich euch da angetan«, seufzte Herr Finkelstein.
    »Aber du kannst doch nichts dafür, Willi. Sind wir froh, dass wir hier in Sicherheit sind«, sagte seine Frau.
    Doch ihr Mann wollte sich nicht beruhigen lassen. »Ein Versager bin ich. Von einem jüdischen Heim ins andere, weiter hab ich’s nicht gebracht. Und dich hab ich gleich mit ins Unglück gestürzt. Dabei habe ich so hart gearbeitet: Lehre, Abendschule, der Meister, die eigene Konditorei. Ich wollte meiner Marianne das Leben versüßen   – und jetzt das hier: Hirsebrei aus dem Blechnapf.«
    Inge saß auf dem oberen Stockbett, baumelte mit den Beinen und hörte zu. Es war nicht immer leicht,die Vertraute der Erwachsenen zu sein. Manchmal wünschte sie sich die Zeiten zurück, als man solche Dialoge noch von ihr fernhielt.
    »Und was machen wir jetzt?« Diese Frage offenbarte die ganze väterliche Hilflosigkeit und Resignation.
    »Hast du am Hafen nicht so ein Merkblatt bekommen?«, überlegte seine Frau. »Vielleicht steht da was Nützliches drauf.« Herr Finkelstein griff in die Tasche seines Jacketts und förderte einen Zettel zutage. Mit gedämpfter Stimme las er vor:
     
    Merkblatt des Komor-Komitees, Schanghai, für

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