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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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über eine dünne Planke balanciert wurden. Schlagartig wurde Inge bewusst, dass die »Ferienreise« nun unwiderruflich zu Ende war. Und hier schwebte die gesamte Existenz der Finkelsteins über dem brackigen Hafenwasser   – Mutters Nähmaschine eingeschlossen. »Die Singer!« Inge schlug sich die Hand vor den Mund. Dann konnte sie aufatmen: Der Kuli stand samt Koffern wieder auf festem Boden.
    Doch der Boden, auf den Inge gleich darauf selbst die Füße setzte, fühlte sich nach der wochenlangen Seereise ganz und gar nicht fest an. China schien ihr unter den Füßen wegzukippen. Sie musste sich an der Kante des Tisches festhalten, auf dem ein Zollbeamter ihre Pässe stempelte. »Patsch!« Das Aufklatschen des Gummistempels hatte etwas Endgültiges   – sie waren in China angekommen. Ein Zurück gab es nicht, wenngleich man die jüdischen Emigranten in Deutschland dazu gezwungen hatte, ein teures Rückreiseticket zu kaufen. Wer da wohl wieder dran verdient hatte?
    Inge warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den gewaltigen Schiffsbauch, der einen Monat lang ihr Zuhause gewesen war, eine schützende, schwimmende Festung zwischen zwei Welten. »Auf Wiedersehen, Graf weiße Hand!«

Ein Heim in Schanghai
    Januar 1939   – Jahr des Tigers
    虎
    Als der Beamte das »J« im Pass ihres Vaters bemerkte, wurden sie zu einem weiteren Tisch gewiesen: »This way please.«
    Dort saß hinter dem Schild »Jewish Relief Committee« ein freundlich lächelnder Herr, der sie auf Deutsch ansprach: »Das Jüdische Hilfskomitee heißt Sie in Schanghai herzlich willkommen. Wir haben vorläufige Übernachtungsmöglichkeiten für Sie vorbereitet. Bitte begeben Sie sich mit Ihrem Gepäck zu den Lastwagen dort drüben. Sie werden dann zu Ihren Unterkünften gebracht.« Mit diesen Worten drückte er Herrn Finkelstein ein Merkblatt in die Hand und wandte sich dem nächsten Ankömmling zu.
    Die Finkelsteins wurden von den Menschenmassen weitergeschoben; alles drängte, rief und winkte auf der Suche nach Gepäckträgern, Angehörigen oder Rikschas. Schließlich standen sie mit ihrer Habe vor einem Lastwagen, zu dessen Ladefläche eine steile Holzplanke hinaufführte.
    »Sollen wir da rauf oder unser Gepäck?«, fragte Inge.
    »Beides, mein Fräulein«, kam die Antwort, und schon halfen fremde Hände ihr nach oben. Das Gepäck wurde nachgereicht.
    Inge konnte einen Platz am Rand ergattern, wo man etwas sehen und sich festhalten konnte. Doch bald standen die Menschen so dicht gedrängt, dass Umfallen ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Damen in Hüten und Pelzjacken, Herren in schwarzen Anzügen und Wintermänteln, Kinder im Sonntagsstaat   – von denen war mit Sicherheit keiner je auf der Ladefläche eines Lastwagens gefahren. »Wie Vieh«, raunte eine Dame, als die Klappe geschlossen wurde. Dann fuhren sie los.
    Inge fand diese Art der Beförderung gar nicht schlecht. Von hier oben konnte man alles überblicken, vor allem die Alternativen: überfüllte Busse mit elektrischer Oberleitung, eine rumpelnde Straßenbahn, Fahrräder mit und ohne Ladefläche, vereinzelte Automobile und viele, viele Rikschas. Nun sah sie diese seltsamen Gefährte zum ersten Mal in Aktion: Sie hatten zwei große Räder, eine Sitzbank mit aufklappbarem Verdeck und lange Deichseln, zwischen denen zaundürre Männer ihren Fahrgast im Laufschritt durchs Verkehrsgetümmel manövrierten. Und nicht nur das, oft hatten sie zusätzlich noch jede Menge Gepäck zu befördern.
    Sie hatten den Bund hinter sich gelassen und fuhren über die Eisenbrücke, die Inge schon vom Schiff aus gesehen hatte. Auf dem höchsten Punkt stand ein Wachtposten mit schwarzen Wickelgamaschen und überkreuzten weißen Schulterriemen. Obwohl auch er asiatische Gesichtszüge hatte, war ihr sofort klar, dass es sich um einen Japaner handelte. Man sah es an seinem Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett unddaran, dass alle vorbeigehenden Chinesen anhalten und sich vor ihm verneigen mussten. Der Lastwagen wurde durchgewinkt. Inge war direkt froh um ihren »Viehtransport«; so musste sie diesem grimmigen Kerl nicht Auge in Auge begegnen.
    Am anderen Ufer des Soochow Creek   – so hieß der Seitenarm des Huangpu   – war Schanghai längst nicht so prächtig wie am Bund. Je weiter sie fuhren, desto trister wurde die Gegend. Kleine zweistöckige Häuser mit Ladenfronten flankierten die Straßen, dazwischen klafften Lücken, wo Gebäude zerbombt oder in Schutt und Asche gelegt worden waren.

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