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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Österreich verloren?
    Es wurde erwähnt, daß die Hafners vor allem für ihre Produktion von Glas bekannt seien, für die schlichten Hafnertrinkgläser der sechziger Jahre, die Sicherheitsgläser der Siebziger, deren Qualität der Osten wie der Westen geschätzt hatte, die Industrieverglasungen der Achtziger, die Fusionen der Neunziger. Eine Dynastie, in der sich zusehends die Frauen durchgesetzt hatten und durchsetzten, wie man dies eben tut, also sicher nicht mit egalitären Gesten. Die jeweiligen Gatten und Söhne wurden ausgebootet wie Glücksspieler, die gar nicht erst ins Casino gelassen werden, führten jämmerliche Existenzen am Rande des Geschehens, darunter zwangsläufig viele Künstler. Musiker, wie man sich denken kann, schwermütig bis zum Äußersten, Blockhüttenbesitzer.
    Während sie in ihren Hütten dunkle, gleichförmige Klangflächen strickten und mit Selbstmord kokettierten, mischten sich die Hafnerschen Damen in Wirtschaft und Politik, in die Politik bloß so weit, daß sie im rechten Moment wieder aus ihr herausfanden.
    Noch immer lebte sie, hochbetagt, jene legendäre Marit Hafner, einst von verbitterten bayrischen Sozialisten als Busenfreundin des Franz Josef Strauß diffamiert, Pionierin der sogenannten friedlichen Germanisierung Westösterreichs, begnadete Schlittschuhläuferin, gerühmte Bibliophile und frühe Konstrukteurin von Tiefseetauchgeräten. Zweiundzwanzigjährig heiratete sie den Fabrikantensohn Max Hafner, der zum Tonsetzer geriet – sowohl Neospätromantiker als auch Naturpessimist – und Ende der Sechziger im schwedischen Exil spurlos verschwand. Freilich, die alte Dame hatte sich längst, wenngleich widerwillig, aus dem Geschäft und der Tiefsee zurückgezogen und die Führung an die einzige Tochter Birgitta abgegeben, die – so ledig wie begehrt – nicht nur als Präsidentin bedeutender Stiftungen fungierte. Sie wurde gerne als mondän, weitsichtig und unerbittlich beschrieben. Ein Oberhaupt, das die Interessen der Familie autokratisch vertrat. Von ihren Brüdern wußte die Zeitung nicht mehr zu berichten, als daß es drei an der Zahl waren und diese ohne jede Bedeutung. Ihren beiden Söhnen war immerhin vergönnt, nicht in der Musik zu verschwinden. Statt dessen saßen sie in der Politik, wie man eben in ihr sitzt. Die getötete Tochter Sarah war ein spätes Kind gewesen, das Birgitta Hafner in ihren frühen Vierzigern zur Welt gebracht hatte. Über den Reichtum dieser Leute konnte nur spekuliert werden. Was man denn auch tat. Darüber und über Birgittas intime Verbindung zu einem heldischen Torwart vergangener Tage. Eine Liaison, die von ihr selbst stets mit abfälliger Geste dementiert wurde, während der Tormann sich gerne darüber ausließ, dennoch vage blieb.
    Die Vermutungen, wer den Tod des Kindes verschuldet und wer ihn zu verantworten habe, gingen in verschiedene Richtungen. Eine Bande aus der ehemaligen DDR kam ins Spiel wie die Kugel in einem Flipperautomaten. Zudem erklärte der Artikelschreiber, erst die Inkompetenz der Polizei hätte zur tragischen Wende in einem zunächst zwar unerfreulichen, aber im Grunde banalen Entführungsfall geführt. – Journalismus bedeutete neuerdings: Polizei anschwärzen. Die Intellektuellen standen daneben, vom Objektivismus verseucht, und wußten nicht einmal mehr, an welchem Ohr sie sich kratzen sollten. Die Polizei in Schutz zu nehmen vor all den Populisten, die sich ins obrigkeitsfeindliche Volk hineinschleimten, was für eine wunderbar heilsame Aufgabe wäre das gewesen, an der die kritische Intelligenz sich endlich hätte aufrichten können. Aber das ist natürlich zuviel verlangt, sich in eine Reihe mit der Exekutive zu stellen, auf die Straße zu gehen, um für die Bullen zu brüllen.
    Die beiden Brüder der Toten bestanden darauf, daß eine politische Dimension völlig auszuschließen sei. Andere deutsche Abgeordnete sprachen Warnungen aus, die unmißverständlich auf den bestürzenden Zustand des österreichischen Sicherheitsapparates abzielten. Gleichzeitig boten sie ihre Hilfe an, so wie man einen Wein anbietet, der seit drei Wochen offensteht.
    Es war kurz nach zwei, als Vavra nun doch begann, sich ein wenig Sorgen um die Bezahlung zu machen. Wozu große Erklärungen abgeben, Ausflüchte, Versprechungen. Er wollte einen günstigen Moment abwarten und das Lokal verlassen, wie er es betreten hatte. Sollten sie doch die Polizei anrufen. Weder der jugendliche Wirt noch die paar Stammgäste, die verschlafen an der

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