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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Stimme fiel auch ein Lichtschein in Vavras und Liepolds Rücken. Als sie sich umdrehten, erinnerten sie an ertappte Kinder. Die alte Grabow stand im Türrahmen. Sie trug ein pinkfarbenes, gepolstertes Nachtgewand. Von ebensolcher Farbe waren die Lockenwickler, eine Invasion auf ihrem Schädel. Das Gesicht war mit einer grünlichgrauen Paste bedeckt, aus der der grellrote Mund und das Weiß der Augen herausstachen.
    »Mutter, bitte«, flüsterte Liepold und legte den Zeigefinger an ihren Mund.
    »Hör auf zu flüstern«, schrie Frau Grabow.
    »Verdammt noch mal, du blöde Gurken. Halt’s Maul.« Vavra quetschte die Worte wie durch ein Sieb. Kaum hörbar auch für beste Ohren.
    »Sie brauchen nicht vulgär zu werden«, sagte die Dame mit dem Gehörschaden und befahl ihrer Tochter lautstark, die Hand von diesem Mann zu nehmen, der ganz offensichtlich nicht der sei, für den sie ihn gehalten habe. Sie brauche sich von niemandem derart beleidigen zu lassen. Schon gar nicht von einem Individuum, dessen Gesicht sie an Theo Lingen erinnere.
    Woher ihre Animosität gegen den beliebten deutschen Komiker stammte, war unklar, in diesem Moment auch nicht zu eruieren, da Vavra und Liepold Schritte aus der Holtschen Wohnung vernahmen, die näher kamen. Beide zuckten wie nach einem Stich. Vavra bereute seine Neugierde, Liepold den Umstand, ihre Mutter noch nicht umgebracht zu haben. Beide eilten sie auf die andere Seite des Ganges, drängten die protestierende Grabow in die Wohnung zurück und verschlossen die Tür.
    »Sie, Vavra, verlassen Sie sofort meine Wohnung«, keifte die Alte, nachdem man sie ins Wohnzimmer geschoben hatte.
    » Deine Wohnung?« brüllte jetzt die Tochter.
    »Misch dich nicht ein, Kind. Du bist verliebt. Wieder einmal in einen Kretin. Aber diesmal werde ich das nicht zulassen.«
    Vielleicht war es gerade der Wechsel zu einer sanften, mütterlichen Stimme, welcher Ingrid Liepold derart in Rage brachte, daß sie einer weiteren Debatte entsagte und ihrer Mutter mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, so daß es die alte Frau – dramatisierend selbst noch im Moment real eintretender Ohnmacht – herumriß und nach hinten schleuderte, als hätte ein Geschoß, groß wie ein Herrenstiefel, sie getroffen. Der kleine Körper prallte auf dem Boden auf. Teile der Gesichtsmaske spritzten in die Höhe. Die Lockenwickler hielten.
    Die Tochter fuhr mit der Schlaghand, auf der nun ebenfalls die graue Schmiere klebte, über das Tischtuch. Dann beugte sie sich hinunter zu ihrer Mutter, ohne Bedauern, bloß um nachzusehen, ob diese noch atmete. In dem Moment läutete es an der Tür. Liepold erstarrte in der Hocke. Vavra im Stand. Woran auch das anhaltende Klingeln, dann ein energisches Getrommel nichts änderten. Sehr wohl aber, als nach einer Pause die nur dürftig gesicherte Tür mit drei, vier Tritten aufgestoßen wurde. Liepold und Vavra flüchteten in verschiedene Richtungen. Frau Grabow blieb zurück wie ein billiges Geschenk an die Bestie.
    Vavras Flucht führte ihn ins Badezimmer, wo er ratlos auf die gefüllte Badewanne sah. Das Wasser besaß die gleiche Farbe wie Frau Grabows Gesichtsmaske. In die Wanne zu steigen und mitsamt seinem Mantel in der dunklen Brühe unterzutauchen, die Luft anzuhalten, bis verschwunden war, wer auch immer die Tür eingetreten hatte … wem hat eine solch verrückte Idee jemals das Leben gerettet, dachte Vavra, natürlich niemandem, die Leute werden in ihren Badewannen wie Fische harpuniert. Da nun aber kein mannshoher Schrank vorhanden war, in oder hinter dem er sich hätte verstecken können, kein Fenster, durch das er in einen Schacht gelangt wäre, und er es nicht wagte, wieder aus dem Badezimmer zu treten, blieb ihm gar nichts anderes übrig – wollte er sich verstecken, und das wollte er unbedingt –, als in die Duschtasse zu steigen und sich hinter dem mit einem fadenkreuzartigen Muster versehenen Duschvorhang zu verbergen. Das war natürlich die abgeschmackteste und zugleich unsinnigste aller Lösungen. Eigentlich noch schlimmer, als in der Badewanne sein Heil zu suchen.
    Vavra stand nun also in seinem dicken Wintermantel unter dem Brausekopf und hoffte darauf, daß sich seine Konturen nicht auf dem Kunststoff abzeichneten, und hoffte noch viel stärker, aber ohne jede Berechtigung, daß sein Gegner so völlig blind oder einfältig sein würde, nicht hinter einem zugezogenen Duschvorhang nachzusehen, oder vielleicht auch gar nicht erst das Badezimmer betrat.
    Was dieser jedoch

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